Brasiliens erster Karneval mit Präsident Bolsonaro

Tanzt ein gespaltenes Land gemeinsam Samba?

Auch vor dem Karneval macht die soziale Spaltung Brasiliens nicht Halt. Während in der weißen Mittelschicht die neue rechtspopulistische Regierung gefeiert wird, geht es in den Armenvierteln um Gewalt gegen Randgruppen.

Karneval in Brasilien / © Fabio Teixeira (dpa)
Karneval in Brasilien / © Fabio Teixeira ( dpa )

Ein wenig ratlos stehen die Kunden in dem Kostümladen auf der "Straße des 25. März" vor der Karnevalsmaske. Weder Haarfarbe noch Kinnpartie stimmen mit der von Jair Messias Bolsonaro (63) überein, Brasiliens neuem Präsidenten. Auch die Masken anderer Repräsentanten der "neuen Politik" bleiben in dem Geschäft in Sao Paulo unerkannt, darunter die des ehemaligen Anti-Korruptionsrichters Sergio Moro, der im Kabinett des Rechtspopulisten Bolsonaro jetzt Justizminister ist. Aufgrund hoher Nachfrage habe man übereilt produziert, weshalb die Masken nicht so gelungen seien, erzählen Händler.

Homophob, rassistisch und frauenfeindlich

Masken sind im brasilianischen Straßenkarneval sehr beliebt, sie sind ein Ritterschlag für die Popularität der betreffenden Figur im wahren Leben. Im Oktober hatten nach dem schmutzigsten und kontroversesten Wahlkampf der brasilianischen Geschichte 55 Prozent der Wähler für Bolsonaro gestimmt; laut einer Umfrage liegt seine Beliebtheit derzeit bei 57 Prozent. Doch der Ex-Fallschirmjäger, der durch homophobe, rassistische und frauenfeindliche Äußerungen auffiel, spaltet noch immer.

In den Vierteln der weißen Mittel- und Oberschicht sind die Masken von Bolsonaro und Moro ein Hit. Man hält den Präsidenten für einen "Mythos", der mit Hilfe des Nationalhelden Sergio Moro die korrupten Politiker vertrieben hat, allen voran der Linken, die Brasilien von 2003 bis 2016 regierte. Doch in den Favelas, den Armenvierteln der brasilianischen Großstädte, feiert man andere Helden.

Armenviertel mit Scharfschützen "aufräumen"

"Meine Helden sterben nicht an einer Überdosis", singt man beim Karneval in der Mare-Favela im Norden Rios einen Song der Gruppe "Se Benze Que Da". Die Samba-Nummer handelt von Amarildo, dem 2013 von Polizisten zu Tode gefolterten Bauarbeiter, dessen Leiche immer noch verschwunden ist. Und von Marielle Franco, der im vergangenen März ermordeten Stadträtin aus der Mare. Franco steht für die, die sich vom politischen Rechtsruck existenziell bedroht fühlen: Mitglieder der LGBT-Gemeinschaft, Bewohner der Armenviertel und schwarze Frauen, die ihre Stimme gegen gesellschaftliche Missstände erheben.

Franco ist zu einem globalen Symbol geworden, in Paris und Berlin überkleben Aktivisten Straßenschilder und benennen sie in "Marielle-Franco-Straße" um. In Rio hingegen zerstörten Politiker von Bolsonaros Partei im Wahlkampf demonstrativ solche Schilder mit Francos Namen. Auch Rios neuer Gouverneur Wilson Witzel nahm an der fragwürdigen Aktion teil. Er will in den Armenvierteln mit Scharfschützen aufräumen, die ohne Vorwarnung Drogenhändler erschießen.

Was notwendig ist

Zwei Drittel der im Jahr 2018 gewaltsam zu Tode gekommenen Personen waren schwarze Jugendliche aus den Favelas. Dort herrscht Angst vor den neuen Zeiten. Wenn die Gruppe "Se Benze Que Da" durch die Straßen zieht, sieht man Schilder, die Respekt für die Favelabevölkerung fordern. "Marielle presente", Marielle sei anwesend, liest man. Auch im Sambodromo, Rios Karneval-Tribünenstraße, an der Touristen aus aller Welt aus VIP-Logen das bunte Treiben verfolgen, wird Marielle Franco präsent sein. Die Samba-Schule Mangueira wird sie in ihrem weltweit übertragenen Umzug ehren.

"Gute-Nacht-Geschichten, um große Leute einzuschläfern" lautet der Titel des Mangueira-Umzugs. Es soll die "nicht-offizielle Geschichte Brasiliens" erzählt werden, also die der Indigenen, Schwarzen und der Armen. "In der aktuellen politischen Atmosphäre ist das notwendig", meint der künstlerische Leiter Leandro Vieira. "Wir wollen zum Nachdenken und zur kritischen Auseinandersetzung mit der brasilianischen Geschichte anregen, auch ganz besonders in diesem Moment, da die Konservativen an die Macht gekommen sind."

"Das wäre zu propagandistisch"

Derzeit baut Bolsonaros Regierung an Reformplänen für die Schulen. Dabei soll es straffer zugehen: Statt "linke Philosophen" zu lesen, sollen die Schüler lieber die Nationalhymne singen. Die bisher in den Schulbüchern kritisch gesehene Militärdiktatur (1964-85) soll positiver dargestellt werden. Der Umzug der Mangueira sei aber keine offene Kritik an Bolsonaro, so Vieira. "Das wäre zu propagandistisch."

Aber die Mangueira setze ihre Tradition fort, den Konservatismus anzuklagen. Als populär-kulturelle Karnevalsgruppe mit meist armen und schwarzen Mitgliedern könne man einfach keine konservativen Positionen bedienen.

 

Jair Bolsonaro / © Silvia Izquierdo (dpa)
Jair Bolsonaro / © Silvia Izquierdo ( dpa )
Quelle:
KNA