Kirche an der Schwelle einer neuen Ära?

"Diese Krise tut uns sehr gut"

Die Missbrauchskrise kostet der Kirche viel Vertrauen. Und doch: Sie ist keine Krise der Weltkirche, sondern nach Ansicht des Kirchenhistorikers Norbert Köster eine, in der jetzt die Anpassung an die westliche Welt im guten Sinne kommen muss.

Blick durch eine leicht geöffnete Kirchentür auf ein Kruzifix / © Harald Oppitz (KNA)
Blick durch eine leicht geöffnete Kirchentür auf ein Kruzifix / © Harald Oppitz ( KNA )

DOMRADIO.DE: Bischöfe und Experten aus aller Welt kommen ab Donnerstag in Rom zusammen, um sich auszutauschen und zu beraten, wie man mit den unzähligen Missbrauchsfällen umgehen soll. So etwas wie den Missbrauchsskandal hat es in der Kirchengeschichte noch nicht gegeben. Fallen Ihnen vergleichbare Fälle in den letzten Jahrhunderten ein, die ein ähnliches Ausmaß für die Kirche hatten?

Norbert Köster (Kirchenhistoriker): Doch, das gab es. Also, wenn Sie die Zustände zum Beispiel im 15. Jahrhundert sehen, zum Konstanzer Konzil. Da war Rom mit drei Gegenpäpsten in einem völlig desolaten Zustand. Da gab es dann ein Konzil, das diese Reformen auf den Weg gebracht hat. Also man findet schon vergleichbare Fälle in der Kirchengeschichte.

DOMRADIO.DE: Und trotzdem hat man das Gefühl das Ausmaß, das wir gerade erleben ist schon - sagen wir mal - erschütternd und geht bis an die Fundamente der Kirche. Kann man sagen, dass eine neue Zeit anbricht, ein neues Kapitel auch in der Kirchengeschichte?

Köster: Das kann man sicher sagen - zumindest für Westeuropa oder die westliche Welt. Das Problem ist, dass die Ungleichzeitigkeit in der Kirche natürlich sehr groß ist und die Sichtweise auf die Probleme in Afrika und Asien ganz andere sind.

DOMRADIO.DE: Kann so eine Synode in Rom, wenn es auch nur ein paar Tage sind, etwas bringen, um sich wenigstens auf den gleichen Stand zu bringen?

Köster: Auf jeden Fall. Das ist ganz zentral, damit auch gerade die Bischöfe aus Asien und Afrika mitbekommen, was uns hier bewegt und wie schwer die Krise ist.

DOMRADIO.DE: Jetzt steht der Papst an der Spitze der Kirche, er ist der Oberhirte an dem sich alle orientieren. Franziskus hat aber auch in seiner Amtszeit immer wieder versucht, etwas aufzubrechen und mehr synodale Strukturen, mehr Beratungsgremien einzuführen. Werden wir auch hier jetzt eine neue Zeit erleben in der Kirche?

Köster: Ich glaube schon. Denn das, was Papst Franziskus jetzt beginnt, ist ja die Wirklichkeit als eine wirkliche theologische Größe zu sehen. Und das Hören auf die Wirklichkeit ist eine alte jesuitische Tradition. Und wenn das stärker in Rom Einzug erhält, ist das schon ein Paradigmenwechsel. Das würde ich sagen.

DOMRADIO.DE: Sie haben gerade schon gesagt, dass es vor allem die westliche Welt ist, die so erschüttert wird. Wie kann eine Weltkirche, die mehrere Milliarden Gläubige hat, sich tatsächlich in eine neue Zeit bewegen, wenn das nur einen verhältnismäßig kleinen Teil der Welt betrifft?

Köster: Das ist im Moment die große Frage, auf die glaube ich Papst Franziskus selber noch keine Antwort hat. Deshalb dämpft er ja selber auch die Erwartungen an den Gipfel in der kommenden Woche, weil es wirklich erst einmal darum geht, Bischöfen an das Thema heranzuführen, die aus Gesellschaften kommen, die wir noch als "archaisch" bezeichnen würden und in denen eine Anfrage an das Priestertum, in den Gewaltenteilung in der Kirche und solche Dinge völlig undenkbare Themen sind. 

DOMRADIO.DE: Was würde passieren, wenn auch Themen wie Zölibat oder die Rolle der Frau in der Kirche, die immer wieder sehr stark zur Debatte stehen, wenn die jetzt hier im Westen sehr stark vorangetrieben werden: Droht dann auch eine Spaltung?

Köster: Es ist die Aufgabe des Papstes, genau das zu verhindern und deshalb die Wege in einen Tempo zu gehen, in dem die meisten auch wirklich mitgehen können. Anders wird das auch nicht gehen.

DOMRADIO.DE: Jetzt hat man das Gefühl, die unterschiedlichen Tempi findet man auch in der deutschen Kirche. Es gibt Medienberichte über Reformpapiere von einigen Bischöfen, die von den anderen dann wieder abgeschmettert werden. Verliert die Kirche nicht an sich noch mehr Glaubwürdigkeit, wenn sich nicht einmal die Bischöfe untereinander einig sind?

Köster: Das ist ein großes Problem. Auf der anderen Seite: Wenn man wirklich ehrlich ist und sagt: "Es kann gar nicht anders sein, das ist ein großes Ringen um den richtigen Weg in die Zukunft." Dann muss es solche Auseinandersetzungen geben. Man kann nicht erwarten, dass alle Bischöfe auf einen Schlag jetzt die richtige Antwort wissen, so wie die Gläubigen ja auch nicht! Auch unter den Gläubigen gibt es ja unglaubliche Unterschiede und Erwartungen an die Entwicklung. Und manche wollen ja auf gar keinen Fall eine Veränderung. Und auch da ist es für die Bischöfe ein schwieriger Weg, die Mitte zu finden, wo man möglichst die meisten mitbekommt.

DOMRADIO.DE: Jetzt kennen Sie die Kirchengeschichte durch ihre Studien. Sie kennen die kirchliche Verwaltung und Führung auch dadurch, dass Sie Generalvikar waren. Haben Sie Sorge vor der Zukunft?

Köster: Nein, die habe ich wirklich ehrlich gesagt nicht. Das kann ich als Kirchenhistoriker sagen, wenn Sie manche Krisen, die die Kirche gehabt hat, in der Geschichte anschauen: Ich glaube, dass diese Krise uns sehr gut tut. Es ist eine Krise, in der wir jetzt die Anpassung an die westliche Welt im guten Sinne leisten müssen. Das haben wir bislang nicht gemacht. Es war die Aufgabe des Zweiten Vatikanischen Konzils und ich glaube, die haben wir bislang noch gar nicht erfüllt. Das ist ein harter Weg im Moment. Aber ich glaube, er wird uns allen sehr guttun.

Das Interview führte Matthias Friebe.


Norbert Köster, ehemaliger Generalvikar in Münster / © Elisabeth Schomaker (KNA)
Norbert Köster, ehemaliger Generalvikar in Münster / © Elisabeth Schomaker ( KNA )
Quelle:
DR