Wie feiern Jesiden Weihnachten?

"Wir sind das letzte Krümelchen"

Jedes Jahr im Dezember begehen Jesiden "Cejna Ezi", ein Fest ähnlich unserem Weihnachten. In Königsdorf bei Köln haben das gut 150 Menschen mit traditionellen Tänzen und Speisen gefeiert - obwohl nicht jedem nach Feiern zumute war.

Die Jesiden hält es nicht mehr auf den Stühlen, sie tanzen / © Teresa Müller-Alander (DR)
Die Jesiden hält es nicht mehr auf den Stühlen, sie tanzen / © Teresa Müller-Alander ( DR )

Eine tanzende Menge zieht sich durch den Saal an der Sebastianuskirche in Königsdorf. Gut 150 Menschen bewegen sich zur Musik eines dreiköpfigen Ensembles. Sie feiern das jesidische Fest “Cejna Ezi” - es ist ein Fest "zu Ehren Gottes", erklärt Nuri. Der 23-jährige Jeside ist vor drei Jahren aus dem Nordirak nach Deutschland gekommen und nun extra aus Bad Honnef angereist. 

Weihnachten oder ein Fest des Friedens

"Cejna Ezi ist so ähnlich wie Weihnachten", meint sein Freund Rajif, der den Abend mit der Kamera begleitet. Gleichzeitig gilt der Feiertag auch als Fest des Friedens, an dem die Jesiden für den Frieden auf der Welt beten und alle Menschen in ihre Gebete einschließen.

Davor fasten sie drei Wochen lang. "Normalerweise feiern wir Cejna Ezi an einem Freitag. Da dieser in Deutschland aber ein Arbeitstag ist, verlegen wir es oft auf den Samstag oder Sonntag", erklärt Sherzad Rekavi, der die Feier in Königsdorf organisiert hat. Der Iraker engagiert sich bei der ökumenischen Nachbarschaftshilfe miteinander-füreinander, die die Räume zur Verfügung gestellt hat.

Für die Feier hat sich Sherzad extra schick gemacht. Er trägt einen dunklen Anzug, darunter ein Hemd mit Krawatte. "Wir sind Jesiden aus dem Irak", sagt er. "Auch unser Heiligtum Lalisch steht im Irak, in Mosul." In Lalisch sei einer der bedeutendsten Heiligen der Jesiden begraben, Scheich Adī ibn Musāfir. Hier soll sich auch das Grab Adams befinden. An diesem Abend in Königsdorf steht ein Modell des Heiligtums auf dem Tisch.

Auch Nicht-Jesiden sind willkommen

Den Jesiden ist es wichtig, ihre Kultur mit anderen zu teilen. Deshalb haben sie auch muslimische und christliche Nachbarn eingeladen. Rund 30 Königsdorfer sind gekommen und verfolgen die Tänze mit großem Interesse. Elisabeth Vosen war schon öfter dabei. "Ich finde es schön, dass die Jesiden so offen mit uns umgehen", sagt die 63-Jährige. Und ihre Nachbarin ergänzt: "Wenn man katholisch ist, kann man hier nichts komisch finden." Ihr Blick geht zur Tür.

Ein Mann mit Turban betritt den Saal. Er ist jesidischer Priester, der an diesem Tag insgesamt vier Feste zwischen Bonn und Belgien einweihen muss. Der Turban zeichnet ihn als Mitglied einer der beiden religiösen Führungskasten aus. Das Jesidentum besteht aus drei Kasten: den Scheichen, den Älteren und den Laien. Die Scheiche und Älteren haben die Aufgabe, das Jesidentum unter den Gläubigen aufrechtzuerhalten und Zeremonien durchzuführen, so wie es der Priester jetzt tut. 

Neben dem Geistlichen geht ein Blumenkranz geschmücktes Mädchen her, in den Händen trägt es eine Feuerschale mit Weihrauch und einer Kerze. Die Festgemeinde folgt mit weiteren Schalen. Ihre Gaben symbolisieren die vier Elemente Erde, Wasser, Luft und Feuer, erläutert der Priester. Dann spricht er ein Gebet. Es dauert 45 Minuten. Als er bei der letzten Silbe angekommen ist, gilt das Fest offiziell als eröffnet.

Jetzt hält es die anwesenden Jesiden nicht länger auf den Stühlen. Von irgendwoher kommen zwei Männer, einer schlägt eine große Trommel, ein zweiter spielt auf einer Längsflöte. Männer und Frauen halten sich an den Händen und bewegen sich zur im arabischen Raum typischen Fünftonmusik – immer in der gleichen Schrittfolge. Nach dem Tanz warten wahre Gaumenfreuden. Es gibt traditionelle Speisen: in Weinblätter gehülltes Gemüse, Kurkuma gewürzten Reis, mit Lammfleisch gefüllte Teigtaschen, danach süßes Gebäck, Walnüsse und Obst. Sherzad und seine Freunde essen genüsslich. Es schmeckt nach Heimat. In der Fremde sind die jesidische Kultur und Religion ihr Zuhause, und das von Geburt an. 

"Wenn wir unseren Glauben aufgeben, haben wir nichts mehr"

Im Gegensatz zu anderen monotheistischen Religionen, kann man nicht aus Überzeugung jesidisch werden oder konvertieren. Man wird in die Religion hineingeboren und ist automatisch Jeside, wenn die Eltern es sind. So antwortet Nuri auf die Frage, warum er Jeside ist, folgerichtig nicht "weil ich von dieser Religion überzeugt bin“, sondern "weil ich als Jeside geboren wurde".

Die jesidische Religion hat alte Wurzeln. Manche sagen, sie hat sich aus dem altpersischen Mithras-Kult oder dem Zoroastrismus entwickelt. Andere führen sie auf den Perserkönig Darius zurück, der in Babylon Juden vor der Verfolgung beschützt haben soll. Fakt ist, in vielen Religionen finden sich jesidische Glaubensinhalte wider. Nuri gibt ein anschauliches Beispiel: "Stellen Sie sich einen Kuchen vor: Der Kuchen steht für die Menschheit. Aus diesem Kuchen hat sich jede Religion etwas abgeschnitten, das Judentum, Christentum, der Buddhismus und so weiter. Und jetzt sind wir das letzte Krümelchen."

Sein Bild gibt wieder, wie sich die Jesiden in Deutschland fühlen. Sie sehen sich als Familie, sie stehen zusammen, ihre Identität speist sich aus ihrer Kultur, die eng mit ihrem Glauben verwoben ist. Auf diesem Hintergrund versteht sich, dass junge Männer wie der 23-jährige Rajif kein Problem damit haben, dass sie nur innerhalb ihrer Kaste heiraten dürfen. Rajif sagt: "Wenn wir unseren Glauben und unsere Kultur aufgeben, dann haben wir nichts mehr."

Christen und Jesiden im Irak verfolgt

Rajif ist einer von geschätzten 100.000 Jesiden in Deutschland, weltweit gibt es rund eine Million. Im Rheinland leben rund 50 Familien, darunter einige, die 2014 vor den Massakern des Islamischen Staats (IS) aus dem Nordirak fliehen konnten. Der August 2014 geht als jüngster Genozid in die Geschichte ein: Extremistische Islamisten überfielen jesidische Siedlungen in den Sindschar-Bergen, verschleppten und töteten 8.000 Männer, Frauen und Kinder. Bilder der Gräueltaten gingen durch europäische Medien. Viele haben dadurch erstmalig vom Schicksal der verfolgten Minderheit erfahren.

Das Auswärtige Amt führt die Jesiden als ethnische Minderheit. Sie selbst verstehen sich als religiöse Minderheit, vor allem als eine verfolgte. Jesiden, so Sherzad, hätten oft ihren Namen geändert, um der Verfolgung zu entgehen. Der Iraker macht deutlich: Die Massaker von August 2014 reihen sich ein in eine traurige Serie der Vertreibung. "Fast täglich verschwinden Jesiden", sagt Sherzad. "Sie sind schon immer vertrieben worden." In Mosul bildeten Christen und Jesiden eine Minderheit. Das sei nicht immer so gewesen.  

"Ich mag die Demokratie in Deutschland"

Ein Mann stellt sich neben ihn. Er heißt Matin, ist Vater von fünf Kindern und seit 1999 in Deutschland. "Wir sind nach Deutschland gekommen, weil wir in unserer Heimat diskriminiert wurden", erzählt er. "Christen und Jesiden dürfen nichts. Ein Jeside kann zum Beispiel kein Restaurant eröffnen. Muslime sagen dann: ‚Ihr bietet kein Halal an, das ist verboten.'"

Er habe gegen den IS gekämpft, sagt er. Mit dem Vater von Friedensnobelpreisträgerin Nadia Murad verbinde ihn eine enge Freundschaft. Beide hätten sich dafür eingesetzt, dass Jesiden im Nordirak befreit wurden. Doch noch immer blieben viele verschwunden. Ob es auch in seiner Familie Vermisste gibt? Er nickt, fünf seiner Familienmitglieder seien spurlos verschwunden, flüstert er - und seine Augen sind schmerzerfüllt.

Dennoch ist Matin dankbar. Dankbar in Deutschland zu sein, weil er hier in Freiheit seinen Glauben leben kann. Nuri geht es ähnlich: "Ich mag die Demokratie in Deutschland", sagt er. Diese Freude bringen er und seine Freunde in ihren Tänzen zum Ausdruck. 


Die Jesiden Nuri, Matin, Sherzad und Rajif mit Jürgen Vosen von der Nachbarschaftshilfe miteinander-füreinander. / © Teresa Müller-Alander (DR)
Die Jesiden Nuri, Matin, Sherzad und Rajif mit Jürgen Vosen von der Nachbarschaftshilfe miteinander-füreinander. / © Teresa Müller-Alander ( DR )

Priester Jahsin eröffnet das Fest / © Teresa Müller-Alander (DR)
Priester Jahsin eröffnet das Fest / © Teresa Müller-Alander ( DR )

Die Frauen und Männer halten sich an den Händen und bewegen sich zur Fünftonmusik. / © Teresa Müller-Alander (DR)
Die Frauen und Männer halten sich an den Händen und bewegen sich zur Fünftonmusik. / © Teresa Müller-Alander ( DR )

Ein irakischer Jeside begleitet die Tänzer auf einer Oud / © Teresa Müller-Alander (DR)
Ein irakischer Jeside begleitet die Tänzer auf einer Oud / © Teresa Müller-Alander ( DR )

Auch Flötenspieler und Trommler spielen auf / © Teresa Müller-Alander (DR)
Auch Flötenspieler und Trommler spielen auf / © Teresa Müller-Alander ( DR )

Es gibt allerlei traditionelle Speisen wie Lammfleisch, Fladenbrot.. / © Teresa Müller-Alander (DR)
Es gibt allerlei traditionelle Speisen wie Lammfleisch, Fladenbrot.. / © Teresa Müller-Alander ( DR )

süßes Gebäck  / © Teresa Müller-Alander (DR)
süßes Gebäck / © Teresa Müller-Alander ( DR )

Am Buffet steht ein Modell des jesidischen Heiligtums Lalisch. / © Teresa Müller-Alander (DR)
Am Buffet steht ein Modell des jesidischen Heiligtums Lalisch. / © Teresa Müller-Alander ( DR )
Quelle:
DR