Rom vertreibt Dutzende Familien - ihr Verbleib ist ungewiss

Raggi gegen die Roma

Gegen einen europäischen Gerichtsbeschluss räumt die Stadt Rom ein Camp weit vor den Toren der Stadt. Eine Aktion, so kopflos wie energisch. Aber Bürgermeisterin Raggi scheint ein Exempel statuieren zu wollen.

Autor/in:
Burkhard Jürgens
Räumung von Roma Camp in Rom / © Gregorio Borgia (dpa)
Räumung von Roma Camp in Rom / © Gregorio Borgia ( dpa )

Sie rückten unerwartet am Donnerstagmorgen an, Polizei und Ordnungskräfte, Müllabfuhr und Sozialdienste, um das Camp der Roma zu räumen. Seitdem stehen die Bewohner der Containersiedlung in der Via Tenuta Piccirilli weit nördlich der römischen Hauptstadt auf dem Platz vor der Einfahrt, sind zornig und verzweifelt, vor allem aber: ratlos. Denn die meisten wissen noch nicht, wo sie die nächste Nacht verbringen sollen.

Der Einsatz kam überraschend. Eigentlich hatte der Europäische Menschenrechtsgerichtshof am Dienstag auf einen Eilantrag hin beschieden, dass die Auflösung des Camps bis Freitag auszusetzen sei.

Richter in Straßburg verlangen alternative Unterbringung

Auch verlangten die Richter in Straßburg, die Stadt Rom müsse vorher für eine alternative Unterbringung Sorge tragen. Roms Fünf-Sterne-Bürgermeisterin Virgina Raggi sah sich nun schon vor der Frist zum Durchgreifen ermächtigt. "Wer meint, wir brauchten zwei Tage, um ein Camp zu schließen oder wegzuschaffen, kennt entweder die Situation nicht oder ist böswillig", sagte sie laut Medienberichten.

Nicht zufällig hatte sie sich am Mittwochabend mit dem rechtspopulistischen Innenminister Matteo Salvini (Lega) abgestimmt. Er betonte, es müsse Gesetzlichkeit wiederhergestellt werden, auch "abseits von Briefen von Gerichtshöfen".

Giftige Abfälle verbrennen, das gehe nicht, sagte Salvini. Auch müssten "die Autos versichert, die Kinder zur Schule gebracht und die Erklärung über Einkünfte abgegeben werden". Inwieweit sonst in Rom hohe Maßstäbe gelten, etwa was Abfallentsorgung und Steuerehrlichkeit angeht, führte der Minister nicht aus.

Entscheidung: das Camp muss weg.

Im Gegenteil galt gerade die Roma-Siedlung "Camping River" als gut organisiert. Die Unterkünfte der ursprünglich 480 Personen hatten Strom- und Wasseranschluss, es bestand eine Art Selbstverwaltung, die Einschulungsrate lag bei mehr als 90 Prozent; letzteres ein Faktor, schrieb die katholische Tageszeitung "Avvenire", der zusammen mit Beschäftigung, Gesundheitsversorgung und Wohnung zu den Säulen der sozialen Eingliederung gehört.

Das Camp liegt weit draußen, vier Kilometer nördlich des Autobahnrings, der Rom weitläufig umspannt. Praktisch keine Anwohner in der Nähe, die sich über die Roma und ihre Lebensart aufregen könnten. Die Stadt hatte 2005 die Wohncontainer dort aufstellen lassen; noch 2017 gab Raggis Verwaltung grünes Licht für ein neues Management der Anlage. Wenig später die Entscheidung: das Camp muss weg.

Ende Juni unterbrach die Stadtverwaltung die Wasserversorgung. Anfang Juli rückten Polizei und Bagger an und zerstörten die mit öffentlichem Geld angeschafften Container. Unter anderem die katholische Gemeinschaft Sant'Egidio, die sich für die Belange von Randgruppen einsetzt, kritisierte das Vorgehen. Wer von den Bewohnern blieb, schlief teils im Freien. Aber die Bilder des verwüsteten Camps dienten in der Lokalpresse als Beleg für unhaltbare Zustände.

Weihbischof Paolo Lojudice wirft Raggi Planlosigkeit vor

Der Plan, die Roma mit städtischen Zuschüssen in Mietwohnungen unterzubringen, scheiterte daran, dass kaum jemand sie als Mieter haben wollte. Raggi versuchte, die Familien mit finanziellen Anreizen zur Ausreise nach Südosteuropa zu bewegen; auch dies wenig erfolgreich. Von den im "Camping River" verbliebenen rund 150 Roma hatten bis Donnerstagnachmittag laut italienischen Medien zwei Dutzend eine neue Unterkunft.

Nicht nur Roms Weihbischof Paolo Lojudice wirft Raggi Planlosigkeit vor. "Gewaltaktionen" führten zu nichts, sagte Lojudice dem bischöflichen Pressedienst SIR. Falls Einschüchterung das Ziel sei, sei dies eine "verfehlte Lösung und Analyse". Ähnlich kritisch äußerte sich der Geistliche schon vergangenen August: Im Zentrum Roms, beim Bahnhof Termini, ließen die Behörden ein Haus mit Hunderten von Flüchtlingen räumen und sie mit Wasserwerfern und Schlagstöcken vertreiben; an Ersatzwohnungen hatte niemand gedacht.

Raggi, angesichts ihrer maroden Großstadt unter Druck, kündigte "entschlossenes, systematisches Handeln" gegen die Roma-Camps an. Salvini will sie darin unterstützen, auch gegen europäische Institutionen. "Straßburg wird die Wiederherstellung des Legalität in der Stadt Rom nicht aufhalten", sagte er.


Quelle:
KNA