Unabhängigkeitstag: Wie hält es Amerika mit der Religion?

"Nur niemandem auf die Füße treten"

Mit zahlreichen Paraden, Umzügen, Ansprachen und Feuerwerken feiern die US-Amerikaner an diesem Mittwoch ihre Unabhängigkeit. Gelegenheit, einmal genauer auf das religiöse Leben im "Land der unbegrenzten Möglichkeiten" zu schauen.

Unabhängigkeitstag in den USA / © Brad Mcclenny (dpa)
Unabhängigkeitstag in den USA / © Brad Mcclenny ( dpa )

DOMRADIO.DE: Stellen wir doch mal die Gretchenfrage: Wie hält es Amerika mit der Religion?

Renardo Schlegelmilch (Redaktion und USA-Kenner): Das ist ein ganz interessantes Spannungsfeld. Man spricht ja immer vom Land der unbegrenzten Möglichkeiten, und in gewissem Sinne betrifft das auch das religiöse Leben. Als erstes muss man sagen: Die Religiosität ist noch mehr in der Gesellschaft verbreitet als bei uns. Tischgebet, sonntags in die Kirche, das ist in weiten Teilen des Landes Standard.

Das hat auch viel mit der Geschichte des Landes zu tun. Die ersten Aussiedler waren Pilger, die sich religiös verfolgt fühlten und deshalb in die neue Welt aufgebrochen sind. Deshalb ist es zum Beispiel eine ziemliche Beleidigung, wenn man in Amerika jemanden als Atheisten bezeichnet. Die Menschen denken nicht anders als hier, aber da gibt es doch noch Berührungsängste, auch bei solchen Begrifflichkeiten.

DOMRADIO.DE: Spannungsfeld, warum Spannung?

Schlegelmilch: Weil auf der anderen Seite Sachen, die bei uns alltäglich sind, dort überhaupt nicht möglich wären. Der deutsche Pfarrer von Washington hat das mal gut umschrieben: Niemand schert es im Land der unbegrenzten Möglichkeiten, was man wie macht. Man darf nur niemandem auf die Füße treten. Und so ist es auch mit der Religion. Da es so viele verschiedene Konfessionen und Religionen gibt, wird die Religion weniger in der Öffentlichkeit gelebt. Eine Marienprozession, oder Fronleichnamsprozession wäre in Amerika undenkbar.

DOMRADIO.DE: Wie ist das Land denn religiös überhaupt aufgeteilt? Man liest ja immer viel von den Evangelikalen, die so fundamentalistisch sein sollen.

Schlegelmilch: Interessanterweise ist das politische Spektrum etwas umgedreht, wenn wir es mit Deutschland vergleichen. Man kann fast sagen: Die Katholiken sind Links, und die evangelischen Menschen, in diesem Fall Evangelikalen, sind rechts. Die denken oftmals, sie seien die einzig wahren Christen, legen die Bibel teils wörtlich aus. Der sogenannte Kreationismus ist in weiten Teilen des Landes verbreitet, so weit, dass an den Schulen die Evolution mit der Schöpfung als gleichwertige wissenschaftliche Theorie gelehrt werden muss.

Die Katholiken auf der anderen Seite, sind eine Minderheit, aber die größte christliche Minderheit des Landes. Vor allem im Nordosten verbreitet, weil dort viele irische Einwanderer herkamen, am stärksten aber im Süden und Südwesten, also Texas, Kalifornien und so weiter, weil dort die spanischen Einflüsse aus Mexiko sehr stark sind und es dort grade eine sehr junge, katholische Community gibt.

DOMRADIO.DE: Wie sieht es mit den anderen Religionen aus?

Schlegelmilch: Die Juden sind sehr verbreitet, mit sechs Millionen die zweitgrößte jüdische Gemeinschaft in der Welt, hinter Israel. Deshalb kommt Trumps Israel-Politik dort auch so gut an.

Die Muslime sind eine Geschichte für sich. Sie werden teilweise kritisch beäugt. Aber im Endeffekt ist das Zusammenleben sehr friedlich. Ich habe verschiedene Moscheegemeinden besucht, in Florida, in Michigan. Wenn man nach Problemen oder Übergriffen fragt, sprechen die Gemeinden von ein oder zwei Drohbriefen, die es mal gab.

DOMRADIO.DE: Wie stehen denn die Christen, und insbesondere die Katholiken, zu ihrem Präsidenten? Finden die seine Politik christlich?

Schlegelmilch: Ein ganz klares "Jein". Es gibt viele Positionen, die die Katholiken unterstützen. Dass Donald Trump durchaus problematisch sein kann, bekommen sie aber mit. Viele betrachten ihn als das kleinere von zwei Übeln.

Politisch ist Amerika sehr gespalten. Die Konservativen sind sehr konservativ, und die progressiven sind sehr progressiv. Deshalb ist zum Beispiel die Abtreibungspolitik sehr liberal. Wenn man das als Christ nicht unterstützen kann, dann hat man halt nur die Alternative Trump zu wählen, beziehungsweise zu unterstützen.

Das Interview führte Heike Sicconi.


Katholische Kirche Saint Jude in Florida / © Rainer Nolte (KNA)
Katholische Kirche Saint Jude in Florida / © Rainer Nolte ( KNA )

Silvester ohne Feuerwerk? Für viele undenkbar. / © Frank Rumpenhorst (dpa)
Silvester ohne Feuerwerk? Für viele undenkbar. / © Frank Rumpenhorst ( dpa )

Donald Trump umarmt US-Flagge / © Chris O'meara (dpa)
Donald Trump umarmt US-Flagge / © Chris O'meara ( dpa )
Quelle:
DR