Nigeria: Nach Überfall bleiben Schülerinnen weiter verschwunden

Keine Entwarnung

Nach einem Überfall auf eine weiterführende Schule im Nordosten Nigerias bleiben zahlreiche Mädchen verschwunden. Die Terrorgruppe Boko Haram gewinnt wieder an Stärke.

 (DR)

In Dapchi, einer Kleinstadt im Bundesstaat Yobe im Nordosten Nigerias, war der Verbleib von Dutzenden Schülerinnen am Donnerstag noch immer unklar. Die Mädchen, die die weiterführende Schule für Wissenschaft und Technik besuchen, waren in der Nacht zum Dienstag vor einem Angriff der Terrorgruppe Boko Haram geflohen.

Möglicherweise wurden auch einige von ihnen entführt. Väter sagten Journalisten knapp zwei Tage nach dem Vorfall, einige der Mädchen seien in einem LKW abtransportiert worden. Sicherheitskräfte und Politiker halten dagegen – widersprechen aber vor allem sich selbst.

Unklar wie viele entführte Schülerinnen fehlen

So sagte Yobes Polizeikommissar Abdulmaliki Sumonu der Nigerianischen Nachrichtenagentur NAN, lediglich die Schule sei überfallen worden. Später räumte er ein, dass 111 Mädchen verschwunden seien; es habe aber keine Entführung gegeben. Kurz darauf ließ Gouverneur Ibrahim Gaidam mitteilen, Soldaten hätten einige der Mädchen aus den Händen der Terroristen befreit.

Bis jetzt weiß niemand sicher, wie viele Schülerinnen noch fehlen und ob sie sich möglicherweise noch im Umfeld der Schule versteckt halten. Schätzungen am Donnerstagmittag lauteten auf 30 bis 40 weiterhin Verschwundene. Die Schule besuchen derzeit insgesamt 926 Mädchen.

Immerhin hat Staatspräsident Muhammadu Buhari laut einem Bericht der Onlinezeitung "Premium Times" gleich drei Minister nach Yobe geschickt, um sich vor Ort ein Bild der Lage zu machen. Sein Vorgänger Goodluck Jonathan war 2015 auch deshalb an seiner Wiederwahl gescheitert, weil er sich nach dem Entführungsfall von Chibok, bei dem 276 Mädchen zwischen 16 und 18 Jahren gekidnappt wurden, über drei Wochen nicht äußerte.

Zahlreiche Entführungen in den letzten Jahren

Auch damals wurde in einer entlegenen Kleinstadt im Süden des Bundesstaates Borno eine staatliche weiterführende Schule mit Internat überfallen. Bis heute befinden sich bis zu 112 Opfer in den Händen der Islamisten. Es ist nicht klar, wie viele der mittlerweile jungen Frauen in der Geiselhaft gestorben sind.

Weltweite Aufmerksamkeit erhielt der Vorfall durch die Twitter-Kampagne #BringBackOurGirls um die Ex-Bildungsministerin Oby Ezekwesili. Ihr wurde mitunter vorgeworfen, sich ausschließlich für die Chibok-Mädchen zu interessieren. Der Vorfall ist allerdings besonders, weil sich die Opfer bei der Tat in Obhut einer staatlichen Schule befanden. Zudem gilt das Drama von damals als Gradmesser dafür, ob die Terrorgruppe tatsächlich besiegt werden kann.

Tatsächlich aber gab es in den vergangenen Jahren zahlreiche weitere Entführungsfälle mit Tausenden Opfern. Anfangs oft ignoriert, wurde das ganze Ausmaß erst ab Frühjahr 2015 deutlich, als es der Armee gelang, von den Terroristen besetzte Regionen zu befreien.

Menschenrechtsorganisationen geben keine Entwarnung

Mit dem neuerlichen Vorfall wird nun aber etwas anderes deutlich: Die Terrorgruppe Boko Haram (Westliche Bildung ist Sünde) hat weiter genügend Unterstützung und Ausrüstung, um Anschläge zu verüben. Erst Ende vergangener Woche gab es im Städtchen Konduga im Bundesstaat Borno einen Überfall auf einen Fischmarkt, bei dem knapp 20 Menschen starben. Überfälle auf Dörfer, bei denen Lebensmittel, Waffen, Munition und Fahrzeuge gestohlen werden, schaffen es längst nicht mehr in die Medien.

Alles andere als Entwarnung gibt auch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International in ihrem neuen Bericht zur weltweiten Menschenrechtslage (Donnerstag). 2017 zählte sie mindestens 65 Angriffe durch Boko Haram, bei denen 411 Personen getötet und 73 entführt worden seien. Die BBC ging Ende Januar allerdings von etwa doppelt so hohen Zahlen aus; der Sender beruft sich auf eigene Untersuchungen. Damit läge der Wert sogar etwas über dem von 2016.

Laut der Internationalen Migrationsorganisation IOM bleibt auch die Zahl der Binnenflüchtlinge hoch. In ihrem aktuellen Bericht hat sich die Zahl von Dezember 2017 bis Februar 2018 um knapp 80.000 erhöht. In zwei Landkreisen in der Boko-Haram-Hochburg Borno ist es für die Mitarbeiter aufgrund der Gefahrenlage weiter nicht möglich, Daten zu erheben.

Katrin Gänsler


Boko Haram zerstörte Kirchengebäude in Marraraba im Norden des Bundesstaates Adamawa in Nigeria / © Katrin Gänsler (KNA)
Boko Haram zerstörte Kirchengebäude in Marraraba im Norden des Bundesstaates Adamawa in Nigeria / © Katrin Gänsler ( KNA )
Quelle:
KNA
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