Europäisches Kulturerbejahr 2018: "Das Erbe teilen"

"Christentum gehört nicht ins Regal"

Nicht nur Schlösser und Burgen gehören zum Kulturerbe, sondern auch Ideen. Das Bonifatiuswerk fragt im Kulturerbejahr 2018: Welche Rolle spielen die christlichen Wurzeln heute noch für die Kulturen in Europa? 

 (DR)

DOMRADIO.DE: "Herkunft hat Zukunft" haben Sie Ihr Projekt genannt. Wir diskutieren im Moment viel über Kreuze in Gerichtssälen, auf Stadtschlössern, über das Verhältnis von Kirche und Staat: Wenn wir uns Europa im Jahr 2018 anschauen, welchen Stellenwert hat da noch die christliche Identität?

Sebastian Schwertfeger (Bonifatiuswerk, zuständig für das Projekt "Herkunft hat Zukunft"): Es ist ganz klar, dass wir aus unserer Vergangenheit und unserer Geschichte nicht herauskommen. Genauso, wie wir in eine Familie hineingeboren werden, können wir nicht irgendwann sagen, dass unsere Eltern nicht mehr da sind. Ich glaube, es ist ganz wichtig, dass wir unsere Wurzeln präsent haben. Wenn man sich die Städtebau- und Bildungsstrukturen oder die sozialen Einrichtungen anschaut, dann sieht man, dass alles mit den christlichen Wurzeln in Europa eng verwoben ist. Und die spielen auch heute noch eine Rolle. Wir können unsere christliche Vergangenheit nicht wie eine Schneekugel in ein Regal stellen und dann sagen: Ach, das war einmal das Christentum. Dazu haben wir in Europa noch viel zu viele Themen, die noch zu bewältigen sind: soziale Fragen oder Menschen, die zu uns aus anderen Ländern kommen und eine neue Heimat suchen. Denen müssen wir auch etwas erzählen können oder sagen können und ihnen erklären können, was unsere Heimat ist und was unsere Identität in Europa ausmacht.   

DOMRADIO.DE: Sie beteiligen sich am Kulturerbejahr mit verschiedenen Projekten, unter anderem mit Weiterbildungen für Lehrer, die den Schülern die christlichen Wurzeln Europas näher bringen sollen. Was wissen die Schulkinder von heute denn noch über Kirche, Glaube und Christentum?

Schwertfeger: Das spielt nur noch eine abstrakte Rolle. In der Schule wird zwar noch etwas über Religion vermittelt, aber Religion wird nicht als für sich relevant entdeckt, auch nicht die Wurzeln der Religion. Es ist so, wie wenn man kochen lernt: Da reicht es nicht, ein Kochbuch zu lesen und schon kann ich kochen und weiß, wie was schmeckt. Ich muss es auch probieren und ich muss schauen, welche Relationen diese christlichen Wurzeln mit mir haben. Wenn wir zum Beispiel die Heiligen in Europa nehmen, dann haben wir da ganz starke Persönlichkeiten, die vielleicht gar nicht heilig werden wollten, sondern die ein Leben für Gott leben wollten. Ich denke, dass ist für Jugendliche interessant zu sehen: Wie sehen die Lebensbewältigungsstrategien der Heiligen aus? Das ist wichtig, um zu entdecken, wie man selbst mit Krisen umgehen kann. 

DOMRADIO.DE: Wie sehen diese Weiterbildungen konkret aus?

Schwertfeger: Wir orientieren uns stark an der Biografiearbeit und laden Lehrer zu Weiterbildungen ein, um anhand von Heiligen genau das herauszuarbeiten: Welches Potenzial steckt in diesen Lebensgeschichten? Wenn man sich etwa Ignatius von Loyla anschaut: Der hatte am Anfang seines Lebens nicht vor, ein Heiliger zu werden! Nein, er wollte ein großer Feldherr werden. Dann traf ihn die Kanonenkugel und er war ans Bett gefesselt. Urplötzlich entwickelte sich daraus etwas anderes in seinem Leben. Man kann be ihm viele Brüche sehen. Bei Jugendlichen gibt es Parallelen, wenn sie etwa sagen: "Ich möchte unbedingt diesen Studienplatz in jener Stadt haben", und dann klappt das nicht. Oder: "Ich möchte eine Ausbildung machen, aber meine Eltern wollen, dass ich studiere. Wie gehe ich damit um?" Da kann man von den Heiligen Europas viel lernen – nämlich, dass Gott es gut mit uns meint und uns auch hilft. Das ist etwas, was die Eltern und Lehrer selbst erfahren sollen und nicht bloß aus einem Buch für ihre Kinder und Schüler aufbereiten sollen. 

DOMRADIO.DE: Sie beteiligen sich im ganzen Jahr an den Aktionen des Kulturerbejahres, unter anderem gibt es einen Videowettbewerb für junge Menschen. Was erwarten Sie da?

Schwertfeger: Wir erwarten, dass sie sich mit ihrem Umfeld beschäftigen und schauen, wo es Spuren gibt und wohin es eine heilige Person verschlagen hat. Oder: Warum heiße ich, wie ich heiße? Woher kommt mein Name? Sich mit der eigenen Biografie auseinanderzusetzen, sie in Relation zu Europa zu setzen und zu erkennen, dass möglicherweise auch der eigene Name schon grenzüberschreitend ist, darum geht es. Das kann auch Impulse geben, wenn man merkt, dass das Christentum heute noch lebendig ist und dass es noch Helden des Alltags gibt, die auch eine Rolle in diesem Videowettbewerben spielen können.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.


Sebastian Schwertfeger / © Bonifatiuswerk (Bonifatiuswerk)
Quelle:
DR