Vor 30 Jahren starb der niederländische Kardinal Alfrink

Totengräber oder Vorkämpfer?

"Von der Parteien Hass und Gunst verwirrt, schwankt sein Charakterbild in der Geschichte." Was Schiller einst im Prolog zu seiner Wallenstein-Trilogie schrieb, gilt so wohl auch für den niederländischen Kardinal Alfrink.

Kardinal Bernard Jan Alfrink, Erzbischof von Utrecht (m.)  (KNA)
Kardinal Bernard Jan Alfrink, Erzbischof von Utrecht (m.) / ( KNA )

"Bis heute gab es keinen progressiveren Kardinal in Europa", urteilte der "Spiegel" in seinem Nachruf. Am 17. Dezember 1987, vor 30 Jahren, starb in Nieuwegein bei Utrecht Bernard Jan Alfrink, Konzilsvater und Erzbischof von Utrecht. Er leitete die wichtigste Diözese des Landes von 1955 bis 1975.

Gehorsam war nicht seine Sache

An Alfrink scheiden sich bis heute die Geister. Die einen sehen in ihm den Totengräber der katholischen Kirche der Niederlande, die anderen einen Vorkämpfer für notwendige Reformen im Zuge des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965). Wie kaum ein zweiter ist er Projektionsfläche von Wunsch- und Trugbildern derer, die ihn verteufeln oder auf ein Podest stellen.

Nein, Gehorsam war seine Sache wohl nicht. Geboren am 5. Juli 1900 in Nijkerk, geriet der Jungpriester Alfrink schon mit seinem ersten Dissertationsversuch in Konflikt mit dem kirchlichen Lehramt. Sein außerordentliches wissenschaftliches Talent war jedoch unbestritten, und so lehrte er zwischen 1933 und 1951 als Professor für alttestamentliche Exegese in Rijsenburg und Nijmegen – bis ihn Papst Pius XII. überraschend zum Erzbischof-Koadjutor für Utrecht ernannte.

Theologisches Renommee

Nach dem Tod von Amtsinhaber Johannes de Jong 1955 stieg Alfrink zum Erzbischof und damit zum ranghöchsten Bischof der Niederlande auf. Sein theologisches Renommee empfahl ihn auch für die Vorbereitungskommission des Konzils, in die er nach seiner Kardinalserhebung 1960 von Papst Johannes XXIII. berufen wurde.

Beim Konzil selbst nahm er als Mitglied des Präsidiums zu allen wichtigen Fragen Stellung. Sein Name wird in einem Atemzug mit den anderen westlichen Zugpferden der reformfreudigen Konzilsmehrheit genannt: Suenens, Lienart, Frings und Döpfner. Sein wichtigster Berater war der belgische Dominikaner und Querdenker Edward Schillebeeckx (1914-2009).

Dennoch waren Alfrinks Wortmeldungen im Sinne des Reformflügels eher moderat als radikal.

Kollegiale statt zentralistische Kirche

Der Historiker Roberto de Mattei zitiert eine Anekdote, nach der Alfrink dem damaligen Präfekten des Heiligen Offiziums und Wortführer der Konservativen, Kardinal Alfredo Ottaviani, während der Debatte das Wort abgeschnitten habe. Mit einem flammenden Plädoyer gegen Veränderungen in der Liturgie habe Ottaviani seine Redezeit von zehn Minuten deutlich überzogen.

Daraufhin habe Konzilspräsident Alfrink zunächst ein Glöckchen geläutet – und dann dem mächtigsten Mann im Vatikan das Mikro abdrehen lassen.

Zu Alfrinks unverrückbaren Überzeugungen gehörte das Bild einer kollegialeren, weniger zentralistischen Kirche. Insofern beförderte und begrüßte er den nachkonziliaren Demokratisierungsschub in der niederländischen Kirche - der freilich bald in offene Rebellion gegen Rom umschlug. Der von Alfrink genehmigte sogenannte Holländische Katechismus von 1966 enthielt bereits diverse Glaubenslehren, die im Vatikan die Alarmglocken schrillen ließen.

Rücktritt zum 75.Geburtstag

Noch weiter ging das niederländische Pastoralkonzil (1966-1970), eine Art westlicher Kulturrevolution, die unter anderem die Freigabe des Priesterzölibates und der Pille forderte. Paul VI. hatte Alfrink noch im Vorfeld der Abstimmung aufgefordert, ein römisches Lehrschreiben zu verlesen und damit die vatikanische Linie vorzugeben. Doch der Bischofskonferenzvorsitzende wollte der Kirchenversammlung selbst die Entscheidung überlassen - und schwieg still.

Müßig zu diskutieren, inwiefern er zu dieser Zeit das Heft des Handelns tatsächlich noch in der Hand hielt. Faktum ist, dass der Vatikan sein vom Kirchenrecht vorgeschriebenes Rücktrittsangebot zum 75. Geburtstag recht prompt annahm - gesundheitsbedingt, wie es hieß.

Persönlicher Besuch von Papst Johannes Paul II.

In seinen letzten Lebensjahren musste der kränkliche Alfrink zusehen, wie die wichtigen Bischofsstühle im Land mit konservativen Kandidaten besetzt und die innerkirchliche Rebellion so erstickt beziehungsweise zurückgedrängt wurde. Allerdings ließ es sich Papst Johannes Paul II. nicht nehmen, den greisen Kardinal bei seiner Niederlande-Reise 1984 persönlich zu besuchen.

Die starke Entkirchlichung der Niederlande steht außer Frage. Ob sie trotz oder wegen der überbordenden Reformbestrebungen von damals erfolgte, darüber darf weiter spekuliert werden.

Von Alexander Brüggemann


Quelle:
KNA