Am Laubhüttenfest spielt sich das Leben auf den Straßen ab

Von vier Spezies und sieben Arten

Zum jüdischen Laubhüttenfest ziehen Familien für eine Woche auf ihre Balkone oder in die Vorgärten. Schon die Vorbereitungen für das Fest, das an den Zug durch die Wüste und das Ende der Ernte erinnert, sind farbenfroh.

Ein ultraorthodoxer Jude kauft Palmzweige für das Dach der Sukka / © Sebi Berens (KNA)
Ein ultraorthodoxer Jude kauft Palmzweige für das Dach der Sukka / © Sebi Berens ( KNA )

Das Neujahrsfest liegt noch keine zwei Wochen zurück, wenn der Versöhnungstag in das dritte hohe Fest des jüdischen Monats Tischri übergeht. Das Fasten und Beten von Jom Kippur mündet quasi nahtlos in die Vorbereitungen für das Laubhüttenfest (Sukkot) - einen der sichtbarsten jüdischen Feiertage: Für eine Woche verlagert sich das Leben ganzer Familien auf Balkone, in Vorgärten und auf Bürgersteige.

Nacht in Laubhütte erinnert an Auszug der Israeliten durch die Wüste

Mahlzeiten und bei sehr religiösen Familien auch der Nachtschlaf werden in die Laubhütte (Sukkah) verlegt. Mit ihrer Vergänglichkeit erinnert sie an die provisorischen Unterkünfte, die dem Volk Israel beim Zug durch die Wüste zur Verfügung standen. Die ersten Behausungen im Zusammenhang mit Sukkot sind allerdings mitnichten Laubhütten.

Kaum ist die landesweite Ruhe von Jom Kippur zu Ende, schlagen Händler ihre Planen auf, entstehen an Knotenpunkten wie dem Jerusalemer Wochenmarkt "Mahane Jehuda" und auf Plätzen der ultraorthodoxen Stadtviertel kleine Zeltstädte, in denen alles verkauft wird, was zu einer gut ausgestatteten Laubhütte gehört.

Ist der Palmzweig gerade genug?

Hier wird die exotische Auswahl der dem jüdischen Religionsrecht entsprechenden Fest-Zutaten zum Blickfang für Passanten. Hunderte traditionell gekleidete Juden strömen in die provisorischen Verkaufshallen, auf der Suche nach den richtigen Palmzweigen (Lulawim), die nach biblischen Vorgaben zusammen mit dem Myrtenzweig (Hadassim), dem Zweig Bachweide (Arawot) und der Zitrusfrucht namens Etrog den Sukkot-Feststrauß ausmachen. Er wird zum Morgengebet in der Festwoche zu Ehren Gottes in alle vier Himmelsrichtungen geschwenkt.

Mit schier unendlicher Geduld werden Pflanzen und Früchte auf ihre Qualität untersucht. Ist der Palmzweig gerade genug? Sitzen die einzelnen Rispen nahe genug beieinander? Der "Diamant" im Feststrauß ist dabei der Etrog, die Zitronatzitrone: Seine Preise können, je nach Qualität, bei über 250 Euro liegen. Geradezu billig wirken daneben die angebotenen Plastikgirlanden und Früchte aus Glitzerfolie, mit denen viele Hütten geschmückt werden.

Fest-Zutaten mit mehreren Bedeutungen

Wie bei den meisten jüdischen Festen überlagern sich auch beim Sukkot verschiedene Bedeutungsebenen. Da sind die archaischen, aus der Landwirtschaft kommenden Elemente der sich zu Ende neigenden Ernte, vertreten etwa durch die "sieben Arten", Feigen, Oliven, Weizen, Gerste, Granatäpfel, Datteln und Wein, mit denen die Laubhütten reich geschmückt werden. Die Verknüpfung mit dem Durchzug durch die Wüste gibt dem Erntedankfest eine jüdisch-nationale Dimension.

Auch theologisch-allegorisch bietet das Fest viel Nahrung. Die "vier Spezies" des Feststraußes etwa stehen für die Gesamtheit der Pflanzenwelt, gleichzeitig aber auch für die vier Charaktertypen des Menschen: Wie der Etrog duftet und schmeckt, heißt es dazu in den rabbinischen Quellen, gibt es Menschen, die sowohl gelehrt sind als auch ihren Glauben leben. Wie die Weidenzweige weder essbar sind noch einen Duft verströmen, gibt es Menschen, die weder gelehrt sind noch gute Werke tun.

In ähnlicher Deutung stehen die ungenießbare Myrte mit ihrem lieblichen Geruch und die geruchlosen, aber wohlschmeckenden Früchte des Palmzweigs für jene, die ihren Glauben ungelehrt leben oder aber bei aller Gelehrsamkeit keine guten Werke tun. Zusammen symbolisieren sie die Einheit des Volkes Israel.

Strenge Regeln für Bau der Laubhütte

Nicht weniger streng als die Auswahl von Palmwedel und Co. sind die Regeln für den Bau der Sukkah selbst. Ein Dach aus pflanzlichem Material wie Zweige, Stroh, Schilfrohr oder Laub muss es sein. Ihr Transport geschieht in den oft ärmeren ultraorthodoxen Vierteln nicht selten auf abenteuerlichen Konstruktionen wie abgenutzten Kinderwagen. Aufliegen muss die Bedachung auf mindestens drei Wänden von mindestens 80 Zentimetern Höhe. Die Mindestgröße des Innenraums beträgt 70 Zentimeter in Länge und Breite.

Der Ausgestaltung hingegen sind kaum Grenzen gesetzt. Und so finden sich in der Sukkotwoche neben schnöden Spanplattenwänden mit vorfabrizierten Stoffverkleidungen auch fast wohnzimmerähnliche Hütten, mit Kinderzeichnungen und Scherenschnitten, oft von der ganzen Familie im Team aufgebaut.

Sukkot im Stadtbild Jerusalems sichtbar

Eigentlich ist Sukkot im Stadtbild Jerusalems das ganze Jahr über sichtbar, besonders in den religiösen Stadtvierteln. Dort dominiert ein terrassenartiger Baustil. Der Grund: Niemals sollen sich zwei Balkone überlagern. Denn nur so bleibt in den Sukkot-Nächten der Sternenhimmel durch das undichte Dach aus Ästen sichtbar; und nur so können bei Regen die Tropfen in die Hütte fallen. Auch dies verlangt das religiöse Recht, soll die Sukkah koscher sein.

Dass damit paradoxerweise jenes Fest, das an das Provisorium und das Vergängliche erinnert, sich in Stein manifestiert, bleibt eine Randbeobachtung des wissenden Flaneurs.


Einkäufe für das Laubhüttenfest (Sukkot) / © Sebi Berens (KNA)
Einkäufe für das Laubhüttenfest (Sukkot) / © Sebi Berens ( KNA )

Zitronen, eine der vier Sukkot-Arten für den Feststrauß  / © Sebi Berens (KNA)
Zitronen, eine der vier Sukkot-Arten für den Feststrauß / © Sebi Berens ( KNA )

Juden beten an der Klagemauer während des Priestersegens beim Sukkot / © Sebi Berens (KNA)
Juden beten an der Klagemauer während des Priestersegens beim Sukkot / © Sebi Berens ( KNA )
Quelle:
KNA
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