Lektor von Ruth Pfau erinnert sich an lebensbejahende Ärztin

"Realismus, von Liebe geprägt"

Mit einem Staatsbegräbnis hat Pakistan Abschied von der Ordensfrau und Lepraärztin Ruth Pfau genommen. Theologe und Lektor Rudolf Walter kannte die Leipzigerin seit Jahrzehnten persönlich, wie er bei domradio.de erzählt.

Ruth Pfau behandelt einen an Lepra erkrankten Mann / © DAHW (dpa)
Ruth Pfau behandelt einen an Lepra erkrankten Mann / © DAHW ( dpa )

domradio.de: Seit über 30 Jahren sind Sie der Lektor von Ruth Pfau. Erinnern Sie sich noch an die erste Begegnung mit ihr?

Dr. Rudolf Walter (Theologe und Lektor beim Herder-Verlag): Wir kennen uns seit 35 Jahren und ich erinnere mich, dass wir damals ein Buch in der Reihe "Glauben Frauen anders?" veröffentlichen wollten. Wir haben versucht, Ruth Pfau als Ärztin und Nonne dafür zu gewinnen. Von ihr kam ein ungewöhnlicher Text von hoher sprachlicher Sensibilität und frei von allen Klischees.

Natürlich wollten wir mehr und haben sie für ein Buch angeschrieben. Ihre Antwort war sehr knapp und deutlich: Sie habe absolut keine Zeit und Wichtigeres zu tun. Das hat uns natürlich noch neugieriger gemacht. In ihrem ersten Buch "Wenn du deine große Liebe triffst" erzählt sie, wie sie als junge Ärztin aus Deutschland nach Pakistan gegangen ist. Dabei geht sie auf viele Begegnungen mit Leprakranken ein, nicht nur aus medizinischer Sicht.

domradio.de: Sie hat ihre medizinische Arbeit mit dem Glauben verbunden. Wie hat sie das gemacht? 

Walter: "Ich kann, wenn ich auf Leiden treffe, nicht wegschauen": Das war ihre große Entscheidung. Sie kannte zwar auch die dunklen Seiten des Lebens, aber es war das "Trotzdem", was sie bewegt hat. Sie wollte eine Option, die mehr Sinn versprach. Es war ein Realismus, der von Liebe geprägt war. Das letzte Wort wird Liebe sein. Das war ihr Glaube und den hat sie gelebt.

domradio.de: Sollte Ruth Pfau Ihrer Meinung nach heilig gesprochen werden?

Walter: Einige Tage nach der Todesnachricht wurde in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ein Leserbrief veröffentlicht, in dem es hieß: "Santa sùbito" (zu Deutsch: ganz schnell heilig). Der Leserbriefschreiber erwartete also von den Bischöfen eine schnelle Reaktion. Eine ähnliche Forderung habe ich zuvor auch in der Badischen Zeitung gelesen - zu einem Artikel, in dem sie als 85-Jährige in Freiburg von ihrer Arbeit erzählt hat. Auch in diesem Leserbrief stand: "Santa sùbito".

Man erinnert sich vielleicht an die Trauerfeier von Johannes Paul II., als die Sprechchöre auf dem Petersplatz eine sofortige Heiligsprechung verlangten. Nun ist das in der Kirche nicht ganz einfach. Da gibt es ja bestimmte Regularien, man kann das nicht von heute auf morgen machen. Da muss erstmal der Ruf der Heiligkeit dokumentiert und geprüft werden. Es gibt zahlreiche Beratungen.

Aber ich denke, dass in diesen spontanen Rufen etwas zum Ausdruck kommt, was man auch ernst nehmen muss: Es gibt ein Gespür dafür, dass es Christen gibt, die etwas vorleben, was dem Heiligsein nahe kommt. Heiligsein bedeutet ja nichts anderes, als dass ein ganz auf Gott ausgerichtetes Leben gelingen kann, dass es möglich ist.

Es gibt in der Aachener St. Josefskirche ein Gemälde, in dem der Erzbischof von San Salvador, Óscar Romero, der NS-Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer und Menschenrechtler Martin Luther King zusammen mit Ruth Pfau an einem Tisch sitzen. Sie wurde also schon vor vielen Jahren in diesen Kontext gesetzt. 

Das Gespräch führte Silvia Ochlast.


Quelle:
DR
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