Kustos Patton über 800 Jahre Franziskaner im Heiligen Land

"Eine Minderheit zu sein, ist nicht alles"

Seit gut einem Jahr ist der italienische Franziskaner Francesco Patton neuer Kustos des Heiligen Landes in Jerusalem. Im Interview blickt er kritisch auf die Höhe- und Tiefpunkte in der 800-jährigen Präsenz seines Ordens im Heiligen Land.

Francesco Patton / © Hadas Parush (KNA)
Francesco Patton / © Hadas Parush ( KNA )

KNA: Was bedeuten 800 Jahre Franziskaner im Heiligen Land?

Francesco Patton (Kustos der Franziskaner im Heiligen Land): Das ist vor allem eine sehr lange Geschichte. 1217, zur Zeit des fünften Kreuzzugs, kam eine erste kleine Gruppe von Brüdern unter Leiter von Elia da Cortona ins Land. Zwei Jahre später besuchte der heilige Franziskus nach seinem Treffen mit Sultan Al-Kamil in Ägypten seine Mitbrüder hier. Von Anfang an ging es den Franziskanern um ein friedliches Zeugnis unter ihren Mitmenschen - ganz ohne Polemik und ausschließlich aus Liebe zu Gott.

KNA: Was waren die wichtigsten Ereignisse ihrer 800-jährigen Präsenz im Heiligen Land?

Patton: Mit der letzten Niederlage der Kreuzfahrer 1291 bei Akko mussten die Franziskaner nach Zypern fliehen. Sie konnten aber schon 1333 zurückkehren, ihren Dienst am Heiligen Grab aufnehmen und am Abendmahlssaal ein kleines Kloster errichten. 1342 übertrug Papst Klemens VI. ihnen offiziell den Dienst als Hüter der Heiligen Stätten - den der Orden seither ohne Unterbrechung und in internationaler Präsenz ausübt. Bald kamen weitere Heiligtümer hinzu, 1347 auch Bethlehem. Heute betreuen wir 70 Heiligtümer, an 50 davon sind wir mit einem Konvent vertreten.

KNA: Was tun die Franziskaner der Kustodie darüber hinaus?

Patton: Wir sind heute zwischen 260 und 270 Ordensleute aus 40 Nationen in Israel und Palästina, aber auch in vielen Nachbarstaaten. Wir betreuen die Heiligtümer, feiern Gottesdienste und kümmern uns um Pilger. Vor allem aber geht es uns um die Christen in den Gemeinden.

Schon um 1500 schufen die Franziskaner für die örtlichen Christen Arbeitsmöglichkeiten. Sie gründeten Schulen, die erste um 1550 in Bethlehem. Heute haben wir 15 Schulen mit mehr als 10.000 Schülern. Bethlehem war übrigens Ende des 19. Jahrhunderts die erste Schule der Region, die auch Mädchen unterrichtete. Und später war es die erste, die auch Muslime aufnahm. Muslime sind in unseren Schulen heute in der Mehrheit.

KNA: Und Pfarrseelsorge?

Patton: Wir leiten 23 Gemeinden. Daneben haben die Brüder stets auch karitative Aufgaben für Arme und Bedürftige wahrgenommen. Heute stellen wir örtlichen Christen Wohnungen zur Verfügung, für die Ärmsten mietfrei. Zudem hat die Kustodie in den vergangenen Jahren Maßnahmen für Migranten und für Flüchtlinge entwickelt.

KNA: Die Kustodie ist nicht die einzige römisch-katholische Kirchenstruktur im Heiligen Land. Es gibt auch das Lateinische Patriarchat.

Patton: Die Neuerrichtung des Lateinischen Patriarchats von Jerusalem Mitte des 19. Jahrhunderts war in der Tat ein wichtiges Ereignis. Für die Kustodie bedeutete sie eine Erleichterung. Zuvor war sie die einzige Vertretung des Heiligen Stuhls im Heiligen Land. Das Patriarchat wurde für die direkte Pastoral unter den lateinischen Christen zuständig; den Franziskanern blieb die Verwaltung und die Seelsorge an den Heiligen Stätten im Rahmen des Status quo. Zudem blieben wir aufgrund unserer jahrhundertelangen Erfahrung die Vertreter des Heiligen Stuhls gegenüber den örtlichen politischen sowie gegenüber den ökumenischen Autoritäten.

KNA: Die Beziehungen zwischen Kustodie und Patriarchat schienen mitunter gespannt?

Patton: Vor allem in der Anfangsphase gab es teils heftige Diskussionen, als man die Kompetenzen klären musste. Aber sie wurden vom Heiligen Stuhl gelöst. Zuletzt ist die Zusammenarbeit sehr gut.

KNA: Was bedeuten das Heilige Land und die Kustodie für den Orden der Franziskaner?

Patton: Die Kustodie wird als "Perle der franziskanischen Mission" bezeichnet, zumal wir hier die erste Mission hatten und der Heilige Franz von Assisi als Pilger hierherkam. In Jerusalem haben wir das "Studium Biblicum Franciscanum", ein Zentrum für Bibelwissenschaften und biblische Archäologie, das Lizenz- und Doktorgrade vergeben kann.

In diesem Institut entstanden und entstehen wichtige Forschungsarbeiten und Studien. Es hat international einen ausgezeichneten Ruf. Daneben haben wir ein Heilig-Land-Museum, das zum Teil noch im Aufbau ist. Der erste Teil ist bereits fertig; ein weiterer soll bis Jahresende eröffnet werden.

KNA: Das Verhältnis zwischen den christlichen Kirchen im Heiligen Land war mitunter angespannt. Wie ist es heute?

Patton: Sehr gut - ungleich besser als vor 30 oder noch vor zehn Jahren. Dazu hat auch die Restaurierung in der Grabeskirche 2016/17 beigetragen. Diese Phase bot eine hervorragende Gelegenheit zur Zusammenarbeit und zum Dialog zwischen den drei Eigentümern der Stätte: dem Griechisch-Orthodoxen Patriarchat, der Kustodie und dem Armenischen Patriarchat. Das Projekt war mit vielen Begegnungen verbunden; diese gehen weiter, die Kontakte halten an. Nach meiner Ansicht gibt es hier in Jerusalem mehr Ökumene als in jedem anderen Ort der Welt.

KNA: Wie sehen Sie die Zukunft der Christen im Heiligen Land?

Patton: Auf der Linie dessen, was Jesus im Evangelium sagt: Fürchte dich nicht, du kleine Herde. Die Christen im Heiligen Land sind eine Minderheit; alle Kirchen und Riten zusammen machen gerade zwei Prozent aus. Aber eine Minderheit zu sein, ist nicht alles. Die eigentliche Frage ist: Sind wir eine streitsüchtige Minderheit und damit dem Risiko des Verschwindens ausgesetzt? Oder sind wir eine Minderheit, die Dialog führt und Nächstenliebe lebt? Können wir eine geschätzte und attraktive Minderheit sein? Das hängt ganz klar von uns ab. Von den Verantwortlichen der christlichen Kirchen, aber auch von jedem einzelnen Christen.

KNA: Was machen die Franziskaner in Syrien?

Patton: In Syrien sind 15 Mitbrüder tätig: in Lattakia, in Damaskus mit zwei Pfarreien und zwei Heiligtümern, in Aleppo sowie in zwei Orten im Orontes-Tal, in der Zone von Idlib, die von Rebellen gehalten wird. Wir sind dort zur Unterstützung der christlichen Gemeinden, die noch geblieben sind, sowie derer, die geflohen sind. Die Zahl der Christen hat sich seit Beginn des Krieges dezimiert: In Aleppo gab es zuvor 300.000 Christen; jetzt sind es noch etwa 30.000. Das Orontes-Tal war vor dem Krieg weitgehend christlich; jetzt leben dort vielleicht noch 200 Christen.

KNA: Wie begehen Sie das Jubiläum?

Patton: Es gibt Veranstaltungen hier in Jerusalem und auch in anderen Teilen der Welt. Anfang Juni haben wir mit einer Feier in Akko an die Ankunft der ersten Brüder vor 800 Jahren wie auch des heiligen Franziskus erinnert. Im Oktober gibt es hier eine dreitägige hochkarätige Konferenz. Zudem sind etliche Bucherscheinungen vorgesehen. Weiter sind mancherorts Ausstellungen über die Christen im Heiligen Land geplant. Auch erhoffe ich mir von diesem Jubiläum neue Anstöße und auch Spendenmittel für unser Heilig-Land-Museum. Schließlich ist das Jubiläum eine gute Gelegenheit, unsere Präsenz hier in aller Welt etwas besser bekanntzumachen.

Das Interview führte Johannes Schidelko.


Quelle:
KNA