Deutscher Student zur Lage in der Türkei

"Neuer Grad der Eskalation"

Die Beziehung ist kompliziert zwischen der Türkei und Deutschland. Andreas Schrank hat als Student ein knappes Jahr in Istanbul gelebt und berichtet von einer angespannten Lage für Deutsche und Christen am Bosporus.

Demonstranten in der Türkei / © Cem Turkel (dpa)
Demonstranten in der Türkei / © Cem Turkel ( dpa )

domradio.de: Es scheint so, dass Präsident Erdogan mehr und mehr Macht auf sich konzentriert, und die verfolgt, die ihm widersprechen. Wie nehmen die Türken das wahr?

Andreas Schrank (deutscher Journalist und Ex-Student in Istanbul): Es herrscht mittlerweile schon ein ziemliches System der Angst vor. Ich habe zwei Semester in Istanbul studiert, da musste man tief graben, um die Leute wirklich auf das Thema Politik anzusprechen. Es hat die Bereitwilligkeit gefehlt, sich dazu zu äußern. Ich hatte das Gefühl, viele trauen sich nicht etwas zu sagen, weil sie Angst um ihre Position haben, ihren Job und auch ihre Familien. Es gab auch Fälle, wo plötzlich Kollegen von Lehrern ohne Grund und Anklage ins Gefängnis gesteckt wurden. Monatelang war nicht klar, was eigentlich los ist und was dem Gefangenen vorgeworfen wird. Dass die Rechtsstaatlichkeit im Moment sehr leidet, das kann man aus meiner Sicht auf jeden Fall bestätigen.

domradio.de: Besonders belastet ist dabei das Verhältnis zu Deutschland, jetzt nach der Verschärfung der Reisehinweise sagen viele Deutsche ihren Urlaub ab. Können Sie das nachvollziehen?

Schrank: Das kann ich durchaus nachvollziehen. Es ist jetzt tatsächlich ein neuer Grad der Eskalation erreicht. Inzwischen wurden auch Deutsche inhaftiert, die keinen direkten Bezug zur Türkei haben. Die Botschaft dahinter ist: Im Endeffekt kann es jeden treffen. Es gibt keinen mehr, der sicher ist. Vor allem jene, die sich für Ziele engagieren, die die türkische Regierung in dieser Form nicht vertritt. Gerade im Hinblick auf die Menschenrechte, wie das eben bei Peter Steudtner der Fall war. Ich kann schon nachvollziehen, dass viele Menschen da ein mulmiges Gefühl haben. Mir ging das teilweise auch selbst so. Gerade als die zwei Anschläge dort passiert sind. Der eine auf das Fußballstadion in Besiktas, und der andere auf den Nachtclub. Da wurde mir auch teilweise etwas mulmig zumute, muss ich sagen. Ich glaube aber, dass es an den Touristenorten an der Türkischen Riviera dieses Ausmaß nicht einnimmt. Wenn man dort die Wirtschaft nicht unterstützt leidet darunter nicht die Regierung, sondern die Menschen, die dort arbeiten und leben. Die fragen sich dann wiederum: Warum bleiben denn die deutschen Touristen aus? Das wiederum bestätigt die Klischees der Regierung, die sagt: Der Westen ist böse und will uns nicht mehr haben. Dadurch wird dieser Teufelskreis dann geschlossen. Also ist es eher kontraproduktiv, wenn man als deutscher Tourist sagt: Ich fliege da nicht mehr hin, weil man eigentlich eher der Regierung nutzt, als ihr schadet.

domradio.de: Dieses politische Säbelrasseln zwischen Deutschland und der Türkei – was denken denn die Menschen auf der Straße darüber?

Schrank: Oberflächlich sagen die meisten, sie wollen damit nichts zu tun haben. Die große Politik auf der einen Seite hat keine wirklichen Auswirkungen auf den persönlichen Umgang mit den Deutschen auf der anderen. Es gibt also ganz klar die Trennung. In meinem Freundeskreis an der Universität in Istanbul bin ich immer sehr freundlich aufgenommen worden, mir gegenüber waren immer alle sehr gastfreundlich, offen und aufgeschlossen. Wenn man aber tiefer in die Diskussion einsteigt, sehen viele Menschen bei Deutschland eine gewisse Schuld. Sie werfen uns vor, dass die Bundesregierung eben nicht gegen den Terror der PKK vorgeht. Wobei das wiederum mit den gleichgeschalteten Medien in der Türkei zusammenhängt. Es gibt inzwischen kaum mehr unabhängige Berichterstattung, das habe ich auch selbst so erlebt. Erdogan prangt auf allen großen Zeitungen, fast Tag für Tag. In solch einer Medienlandschaft haben die Leute fast keine andere Wahl, als zu glauben, was die Medien berichten. Und unabhängig davon gibt es inzwischen auch eine Art Selbstzensur der Journalisten, weil sie genau wissen, dass sie relativ schnell mit der Justiz zu kämpfen haben, wenn sie gegen Erdogan sprechen.

domradio.de: Eigentlich ist die Türkei ein Staat mit strikter Trennung von Staat und Religion. Was bedeuten die Entwicklungen nach dem Referendum denn für die Andersgläubigen, auch die Christen?

Schrank: Eine direkte Anfeindung habe ich nicht erlebt. Ich war aber auch mehrmals im Gottesdienst, dort habe ich schon erlebt, dass die Polizeikontrollen stark zugenommen haben. Vor den Kirchen gibt es eine ständige Polizeipräsenz. Vor den Gottesdiensten wurden auch die Taschen kontrolliert. Man hat schon das Gefühl, dass eine Bedrohungslage vorliegt. Sonst wären diese Kontrollen ja unnötig. Direkte Anfeindungen oder Bedrohungen habe ich als Christ dort nicht erlebt. Die Muslime, die ich kennengelernt habe, waren mir gegenüber sehr aufgeschlossen und tolerant. Wobei an einer Universität natürlich sicher ein offenerer Geist herrscht, und ich sicher nicht den gesamten Schnitt der türkischen Gesellschaft wahrgenommen habe.

Das Interview führte Hilde Regeniter.


Andreas Schrank hat ein halbes Jahr in Istanbul gelebt / © Andreas Schrank (privat)
Andreas Schrank hat ein halbes Jahr in Istanbul gelebt / © Andreas Schrank ( privat )
Quelle:
DR
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