Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes in Namibia

Verbrechen der Kolonialzeit als "heimliches Hauptthema"

In Namibia berät der Lutherische Weltbund über theologische Themen genauso wie über Klimaschutz, Menschenrechte und auch über die Verbrechen der Kolonialzeit. domradio.de sprach mit dem Journalisten Benjamin Lassiwe, der den Kongress begeitet.

Jahresvollversammlung des LWB in Namibia / © Norbert Neetz (epd)
Jahresvollversammlung des LWB in Namibia / © Norbert Neetz ( epd )

domradio.de: Warum trifft sich der Lutherische Weltbund in Namibia. Es klingt irgendwie logischer, dass man das Treffen im Jubiläumsjahr der Reformation vielleicht auch in Deutschland gemacht hätte, in der Heimat von Luther.

Benjamin Lassiwe (evangelischer Journalist): Zum einen war die letzte Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes 2010 ja schon in Stuttgart. Zweimal hintereinander im selben Land geht einfach nicht. Und zum anderen ist die Reformation aus Sicht der Lutheraner eine Weltbürgerin, wie es der Generalsekretär Martin Junge heute Vormittag in seinem Bericht sagte. Man möchte also deutlich machen, dass Lutheraner überall auf der Welt vertreten sind - nicht nur in Deutschland und Europa, sondern auch in Afrika, wo die beiden größten Mitgliedskirchen des Lutherischen Weltbundes, nämlich die Mekane-Yesus-Kirche in Äthiopien und die Evangelisch-Lutherische Kirche in Tansania, heute ohnehin einen Großteil der 74 Millionen Lutheraner weltweit stellen. 

domradio.de: Jetzt ist Namibia ein Land, das auch eine deutsche Vergangenheit hat. Bis 1920 war es deutsche Kolonie. Vor über 100 Jahren sind die Deutschen dort brutal gegen die Volksstämme der Herrero und der Nama vorgegangen. Das sind Verbrechen, die als der erste Völkermord des 20. Jahrhunderts gelten. Inwieweit ist das bei diesem Treffen ein Thema?

Lassiwe: Dieses Thema ist schon gestern vom Präsidenten des Lutherischen Weltbundes, dem palästinensischen Bischof Munib Younan, angesprochen worden. Es wird auch erwartet, dass sich der Weltbund im Laufe der Tagung dazu positionieren wird. Dazu gibt es ja eine Erklärung der Evangelischen Kirche in Deutschland, die wenige Tage vor dieser Konferenz veröffentlicht worden ist und in der die Evangelische Kirche in Deutschland eine Schuldanerkennung für ihre Beteiligung an diesem Völkermord gegeben hat, für ihr Schweigen in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts. Diese Erklärung hat hier auch in Namibia Kreise gezogen. Gestern Abend gab es einen Empfang des Staatspräsidenten Hage Geingob für die Delegierten der Vollversammlung und bei dieser Gelegenheit wurde auch die Erklärung noch einmal sehr gewürdigt.

domradio.de: Auf welches Echo fällt die Erklärung ansonsten?

Lassiwe: Es gibt durchaus gespaltene Positionen dazu, auch hier in Namibia. Die deutschsprachige namibische Kirche zum Beispiel, die Evangelisch-Lutherische Kirche in Namibia, sieht diese Erklärung, da sie nicht mit ihr abgestimmt worden ist, eher kritisch. Man versucht, das Thema ausgewogen und diplomatisch zu behandeln. Aber es ist sicherlich das heimliche Hauptthema dieser Vollversammlung.

domradio.de: Welche Rolle haben die Kirchen und die Missionare denn damals zu dieser Zeit in Namibia gespielt?

Lassiwe: Die Kirchen und die Missionare haben damals zumindest nichts gegen den Völkermord unternommen. Sie haben geschwiegen und sie waren ein Teil der staatlichen Verwaltung des Landes. Die Pfarrer waren vom preussischen Oberkonsistorialrat entsandt. Und sie müssen sich zumindest den Vorwurf gefallen lassen, dass auch Christen, die getauft worden sind, bei diesem Völkermord umgekommen ist.

domradio.de: Man gibt sich ja auch bei anderen Themen durchaus selbstkritisch. Der scheidende Präsident des Lutherischen Weltbundes hat im Reformationsjahr jetzt auch eine kritische Auseinandersetzung mit Aussagen von Martin Luther zum Islam gefordert. Worum geht es da? 

Lassiwe: Das war eine etwas schwammige Formulierung von Munib Younan, die er auch nicht vertieft hat. Klar ist, Luther hat in seinen Schiften natürlich auch deutlich negative Kommentare über die Türken und über den Islam insgesamt von sich gegegeben. So, wie er auch die Juden, Katholiken und viele andere, die nicht seiner Meinung waren, immer kritisiert hat. Im Dialog mit dem Judentum, aber auch in der Ökumene mit der römisch-katholischen Kirche, haben sich die Lutheraner ja in den vergangenen Jahren immer schon von den Verwerfungen der Reformationszeit distanziert. Heute würde kein lutherischer Christ mehr den Papst als Antichristen bezeichnen. Damals war das aber so. Und ähnliche Äußerungen gab es natürlich auch von Luther über den Islam.

Nun hat Younan vorgeschlagen, dass man sich auch davon distanziert. Dabei darf man natürlich nicht vergessen, dass Younan eben ein palästinensischer Christ ist, der aus einer Minderheitenkirche kommt, die in einem Land mit islamischer Mehrheitsbevölkerung angesiedelt ist. Gleichwwohl wird es interessant sein, wie sich diese Vollversammlung im Laufe der nächsten Tage zu diesem Thema positionieren wird.

Das Interview führte Uta Vorbrodt.


Quelle:
DR