Hilfswerke wollen Kindern in Slums Perspektiven geben

Keine neue Generation indischer Lumpensammler

Indiens Bevölkerung wächst und wächst. Im Jahr 2025 wird das Land wohl China überholen. Doch weiterhin leben rund 400 Millionen Inder in Armut. Wenn nur die Kinder eine Chance erhalten. Katholische Hilfswerke unterstützen nach Kräften.

Autor/in:
Anna Mertens
Kinder in einem Slum in Indien / © Raminder Pal Singh (dpa)
Kinder in einem Slum in Indien / © Raminder Pal Singh ( dpa )

"Djungard" sagt der Inder. Übersetzt heißt das so viel wie "mit den Widrigkeiten des Lebens kreativ umgehen". Beim Gang durch die schmalen Gassen des Slums Seemapuri in Delhi wird deutlich, wie zutreffend dieser Ausdruck für die dortige Bevölkerung ist. Auf engstem Raum und unter ärmlichsten Verhältnissen leben die Familien hier.

Doch die Stimmung trübt das kaum. Die Kinder lachen und schütteln fröhlich fremde Hände; die Mütter beobachten gelassen das bunte Treiben. Nur der beißende Geruch der Müllhalde am Straßenbeginn lässt sich nicht so leicht weglächeln.

Herausforderung Schulbildung

Müll ist das Stichwort in Seemapuri. Die Mehrheit der vorrangig muslimischen Slum-Bewohner sortiert Müll und sucht darin nach Stoffstücken, um diese zu verkaufen. Viele der Menschen sind ursprünglich aus Bangladesch oder anderen indischen Staaten nach Delhi gekommen - in der Hoffnung auf eine Perspektive. Doch Arbeitschancen gibt es wenige. Bei stetigem Bevölkerungswachstum müssen Schätzungen zufolge eine Million Arbeitsplätze pro Monat in Indien geschaffen werden.

Schulbildung bleibt gleichermaßen eine Herausforderung. Allein in Seemapuri müssen 7.000 Kinder beschult werden, erzählt Alan Anderson, Programmleiter der erzbischöflichen Hilfsorganisation Chetanalaya. Zwar gehe die Mehrzahl der Kinder in Indien mittlerweile zur Schule, aber entscheidend sei, dass die Kinder auch ausreichend lernten, bekräftigt Anderson und fügt hinzu, "damit die Kinder bessere Lebenschancen haben als ihre Eltern".

Chetanalaya, Projektpartner der deutschen Caritas, versucht die Kinder daher bei der Schulbildung zu unterstützen und zugleich den Eltern unter die Arme zu greifen. In einem neuen Gemeindezentrum, das von Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) gefördert und Anfang April persönlich eröffnet wurde, können die Mütter sich beraten lassen, etwa in Finanz- oder Gesundheitsfragen. Viele ihrer Kinder sind abhängig von Klebstoff, den sie schnüffeln.

Für Ajsha, Schülerin der 10. Klasse, ist vor allem das internationale Interesse an der Lage der Menschen in Seemapuri wichtig. "Unsere Nachbarn interessieren sich nicht für uns", sagt sie. Umso wichtiger sei vor diesem Hintergrund die Unterstützung aus Deutschland und der kirchlichen Hilfswerke.

Schwierigere Lage für Nichtregierungsorganisationen

Dabei ist die Lage für christliche Organisationen in Delhi unter der Regierung der hindu-nationalistischen Partei von Premierminister Narendra Modi schwieriger geworden. Das gelte nicht für größere Nichtregierungsorganisationen mit internationalen Partnern, sondern für kleinere, sagt Anderson. Meist wird den Organisationen offenbar eine anti-nationalistische Haltung vorgeworfen und gegen sie prozessiert. Diesen jahrelangen Kampf vor Gericht können sich kleine Institutionen nicht leisten.

Bei Butterflies ist der internationale Kontakt nicht zu übersehen. Auf einem großen Stofftuch, das an der Wand hängt, hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) unterschrieben. Seit rund 27 Jahren unterstützt Butterflies mit finanzieller Hilfe von Misereor Straßenkinder in Indien.

Einer von ihnen ist Subhas. Der Achtklässler ist aktuell der Bankmanager der Children's Development Khazana, was so viel heißt wie Schatztruhe. In diese Schatztruhe zahlen die Kinder ihr Erspartes ein und verwalten es gemeinsam. Selbstbewusst zeigt Subhas die Bücher vor und erklärt das Kreditsystem der Kinderbank.

Unterstützung in allen Lebenslagen

In zwölf Zentren in Indien betreut Butterflies Straßenkinder in allen Lebenslagen. Meist fehlt es an Betreuung durch die Eltern oder die Kinder sind von zu Hause weggelaufen. "Wenn die Kinder nicht zur Schule gehen können, bringen wir die Schule zu ihnen" ist das Motto von Butterflies.

J.O. Oli ist der Leiter der Nichtregierungsorganisation. "Wir erreichen etwa 1.200 Kinder auf der Straße", erzählt er. Im Regelfall werden die Kinder in den Slums und Straßen tagsüber betreut und können Unterricht nachholen oder sich auf Prüfungen vorbereiten. In dem Zentrum in Delhi dürfen die Kinder und Jugendliche auch übernachten.

Derzeit sind es 23 Kinder, die außer der Kinderbank auch einen eigenen Radiosender, eine Zeitung und ein Gesundheitsprogramm betreiben. Selbstorganisation ist bei Butterflies hoch im Kurs. "Djungard" eben.

 

Quelle:
KNA