Missbrauchs-Dokumentation erregt Aufsehen in Frankreich

Spotlight a la francaise

Die katholische Kirche in Frankreich deckt Missbrauchstäter durch ein geschicktes System der Versetzung, argumentieren drei Journalisten in einer Dokumentation. Die Französische Bischofskonferenz kritisiert ihre Methoden.

Autor/in:
Franziska Broich
Priester mit einem Rosenkranz (dpa)
Priester mit einem Rosenkranz / ( dpa )

Die Recherchen beginnen in Lyon und enden im Vatikan. Die Journalisten Daphne Gastaldi, Mathieu Martiniere und Mathieu Perisse reisen in ihrer zweistündigen Fernsehdokumentation einmal um die Welt. Ihre These: Die katholische Kirche schützt Missbrauchstäter durch ein geschicktes System der Versetzung. Ein Beispiel ist Priester Joannes Rivoire. Er lebt seit mehreren Jahren unbehelligt in Frankreich, obwohl er seit 1998 in Kanada wegen sexuellem Missbrauch an Minderjährigen zur Fahndung aussteht.

Die am Dienstagabend ausgestrahlte Dokumentation sorgte bereits vorher für Furore. Die Französische Bischofskonferenz teilte am Montag mit, sie werde nicht an einer Fernsehdebatte nach der Ausstrahlung teilnehmen. Der Grund: Die Journalisten hätten medienethische Standards missachtet.

Kritik an Vorgehen der Interviewerin

Der Stil der Journalisten in der Dokumentation "Cash Investigation", was soviel wie verdeckte Ermittlungen bedeutet, ist harsch und entschlossen. Einen Ordenschef fangen sie am Flughafen ab, obwohl er zuvor schriftlich mitteilte, kein Interview geben zu wollen. Den Erzbischof von Lyon, Kardinal Philippe Barbarin, wollen sie vor einer Messfeier interviewen. Bei vielen Interviews filmen sie mit versteckter Kamera. Mehrere katholische Organisationen wie "Famillechretienne" kritisierten das Vorgehen der Interviewerin Elise Lucet, die immer wieder Priester verfolgt und ihre Frage am Ende sogar Papst Franziskus hinterherruft.

Aus den Recherchen machten die Journalisten auch ein Buch. Es trägt den Titel: "Eglise: la Mecanique du silence" (Kirche: Die Mechanik der Stille"). Es erschien am Mittwoch. Auf 378 Seiten dokumentieren sie ihre Recherchen. Am Ende stehen auf 15 Seiten die Namen der 32 Priester aus Frankreich, die sie des Missbrauchs beschuldigen, sowie die Namen derer, die sie gedeckt haben sollen. Darunter 25 Bischöfe. Insgesamt habe es 339 Opfer gegeben.

Die Zahlen lassen aufhorchen. Doch Experten zeigen sich unbeeindruckt. Viele der Fälle seien bereits bekannt. Etwa die Hälfte hat sich den Journalisten zufolge nach dem Jahr 2000 ereignet. Der Direktor der französischen Zeitung "La Croix", Guillaume Goubert, kritisierte in der Mittwochsausgabe, dass niemand bisher untersucht habe, welche der genannten Fälle neu seien. Er betont, dass die Kirche in Frankreich vieles im Umgang mit Missbrauchsopfern verändert habe. Die Arbeit sei noch nicht vollendet, aber es sei zu früh, um die Menschen glauben zu lassen, dass die Kirche vor der Wahrheit fliehe, so Goubert.

Keine neuen Fakten?

Auch der Sprecher der Bischofskonferenz, Olivier Ribadeau Dumas, äußerte sich am Mittwoch mehreren Medienberichten zufolge kritisch zu der Dokumentation. Es seien keine neuen Fakten bekanntgeworden. Die Zahlen seien eine "Aggregation von Fakten", die eine "atemberaubende Dimension" annähmen. Keiner der Bischöfe, der Fakten vertuscht habe, sei heute noch im Amt, so Dumas.

Eine zentrale Frage, die in der Dokumentation immer wieder auftaucht: Wann beginnt Vertuschung und wo hört sie auf? Mehrere Bischöfe werden beschuldigt von Missbrauchsfällen in ihren Diözesen gewusst, aber keine Maßnahmen ergriffen zu haben. Diesen Vorwurf machen die Autoren auch engsten Vertrauten des Papstes wie dem deutschen Kurienkardinal Gerhard Ludwig Müller. Dem Papst werfen die Journalisten zu wenig Engagement für die Missbrauchsopfer des argentinischen Ordenspriesters Julio Cesar Grassi vor. In der Dokumentation kritisieren Opfer von Grassi, dass sie nie eine Entschuldigung von Papst Franziskus erhalten hätten. Er empfange Leonardo DiCaprio, aber habe keine Zeit sie zu treffen.

Regelverschärfung

Der Papst verschärfte im Juni 2016 die Regeln für Bischöfe, die einem Verdacht auf sexuellem Missbrauch in ihrem Bistum nicht ausreichend nachgehen. Im Extremfall kann dies bis zur Amtsenthebung führen.

Gegen den Erzbischof von Lyon, Barbarin, bei dem die Recherchen der Journalisten begannen, wird nicht mehr ermittelt. Die Staatsanwaltschaft stellte die Ermittlungen gegen ihn im August 2016 ein, weil es keine Hinweise auf eine Straftat gegeben habe. Er war wegen Nichtanzeige sexueller Übergriffe in seinem Verantwortungsbereich angezeigt worden.

In anderen Fällen, die in der Dokumentation gezeigt wurden, reagierte die französische Justiz zwischenzeitlich, nachdem die Orden den Aufenthalt ihrer Mitglieder den Behörden meldeten.


Quelle:
KNA