Entdeckung: Teil des Wiener Domschatzes ist orthodoxer Herkunft

Eine "Einkaufsliste" für Reliquien aus Konstantinopel

Ein Wiener Experte hat ein verschollenes, nun aber wiederentdecktes Dokument aus dem 14. Jahrhundert untersucht. Es handelt sich um eine regelrechte Einkaufsliste für byzantinische Reliquien aus Konstantinopel.

Autor/in:
Georg Pulling
Stephansdom in Wien  / © Alexander Brüggemann (KNA)
Stephansdom in Wien / © Alexander Brüggemann ( KNA )

Der Wiener Stephansdom hat bislang nicht bekannte historische Verbindungen zur orthodoxen Kirche: So ist ein wesentlicher Teil des Reliquienschatzes des Doms orthodoxer, genauer gesagt byzantinischer Herkunft. Das geht aus einem bislang verschollenen, nun aber wiederentdeckten Dokument aus dem 14. Jahrhundert hervor. Dabei handelt es sich um eine Urkunde aus dem Jahr 1363, mit der der Verkauf von mehr als 50 Reliquien in Konstantinopel an einen italienischen Arzt namens Petrus de Pistagallis bestätigt wird - eine regelrechte Einkaufsliste.

Noch unter Herzog Rudolf IV. (1339-1365) von Österreich dürfte der Schatz schließlich nach Sankt Stephan gelangt sein, wie der Wiener Byzantinist Christian Gastgeber der Presseagentur Kathpress sagte. Gastgeber hat das besagte Dokument untersucht und dazu eine Studie verfasst. "Ein derart umfangreicher Ankauf direkt aus der Hauptstadt des byzantinischen Reiches ist bislang unbekannt. Die Spuren des Arztes verlieren sich, bis das Dokument in Sankt Stephan in Wien auftauchte", so Gastgeber.

Es fehlt an akribischen Auzeichnungen

Man könne davon ausgehen, dass diese Reliquien sehr bald in den Westen gelangten. "Gerade Wien unter Pfalzherzog Rudolf IV. dem Stifter hatte großes Interesse an einer Aufwertung von Sankt Stephan als Domkirche seiner Residenz." Gastgeber sprach von "einer Brücke mehr, die nun die katholische und orthodoxe Tradition in Wien verbindet".

Leider sei die Dokumentation der frühen Reliquien in den mittelalterlichen Verzeichnissen nicht mit großer Akribie geführt worden. "Oft wusste man wohl wahrscheinlich selbst nicht mehr, welchem Heiligem was zuzuordnen ist." Erst 1502 wurden die Reliquien ausführlicher aufgelistet, soweit das noch möglich war. Dazu gebe es Zeichnungen der Reliquiare. Es fielen einige deutliche Parallelen zur "Einkaufsliste von Konstantinopel" auf. Wenn die byzantinischen Reliquien also nicht unter Rudolf IV. nach Wien kamen, dann unter einem seiner Nachfolger, so der Wissenschaftler.

Zeit der Auseinandersetzungen

Der Kauf 1363 fiel in eine Zeit wüster Auseinandersetzungen zwischen der römischen ("lateinischen") und der griechisch-orthodoxen Kirche. Immer wieder angestrebte Unionen scheiterten; gegenseitige Vorwürfe bestimmten die Debatten. Konstantinopel war im 14. Jahrhundert bereits massiv von den Osmanen bedroht. Dennoch akzeptierte das Gros des Klerus eine Union mit Rom nicht - was das Gewicht gegenüber den Osmanen sicher vergrößert hätte.

Der Byzantinist: "Die Zeit war geprägt von heftigen Polemiken gegen die jeweils andere Konfession." Vor allem das Mönchtum im Osten habe hart gegen Rom opponiert. Aber: "Just in dieser gespannten Situation wird vom Patriarchen von Konstantinopel ein derartiger Verkauf genehmigt und autorisiert; und Kleriker von griechischen Klöstern bestätigen den Verkauf, wahrscheinlich sogar jene Klöster, aus denen die Reliquien stammen."

Verdachtsmomente bezüglich der Echtheit

Dass Teile des Wiener Domschatzes byzantinischer Herkunft sind, steht zweifelsohne fest. Eine ganz andere Frage ist freilich, ob die Reliquien auch echt sind - oder ob es sich um Fälschungen handelt. "Es gibt einige Verdachtsmomente", räumt Gastgeber ein. Auf jeden Fall sei an der Urkunde manipuliert worden, "und es wurden von anderen Personen Zusätze gemacht".

Gastgeber verweist etwa auf einen westlichen Notar, der ebenfalls seine Unterschrift unter die Urkunde setzte, zugleich aber seine Zweifel an der Echtheit der Reliquien äußerte. Die anderen westlichen Zeugen bestätigten und besiegelten jedoch die Echtheit. Angesichts des angespannten Klimas zwischen Rom und Byzanz stelle sich zwangsläufig die Frage, so Gastgeber: "Hat man wirklich echte Reliquien übergeben oder wurde der Käufer gar getäuscht?" Um dies zu klären, bedürfe es naturwissenschaftlicher Analysen.

 


Quelle:
KNA