Hilfswerk missio zur Hungerkrise in Nigeria

"Die Situation ist dramatisch"

Zehntausende Kinder sind in Nigeria vom Hungertod bedroht. Auch hinter diesem Hungerdrama steckt die Terrormilliz Boko Haram, denn die Familien mussten vor den Milizen fliehen, erklärt Judith Edelmann vom katholischen Hilfswerk missio.

Eine Frau mit ihren Kindern in einem Flüchtlingscamp in Yola im Nordosten Nigerias am 16.3.15 (dpa)
Eine Frau mit ihren Kindern in einem Flüchtlingscamp in Yola im Nordosten Nigerias am 16.3.15 / ( dpa )

domradio.de: Die Bilder der extrem unterernährten Kinder, die wir in diesen Tagen in den Nachrichten sehen, kommen aus dem nordöstlichen Bundesstaat Borno. Was wissen Sie über die Lage vor Ort?

Judith Edelmann (Nigeria-Referentin beim katholischen Hilfswerk missio): Die Bilder, die uns erreichen, sind wirklich erschreckend und schockierend. Die Situation vor Ort ist sehr dramatisch, was unsere Projektpartner auch bestätigen. Zahlreiche Kinder leiden an Mangel- und Unterernährung, insbesondere auf dem Land, wo die Familien sich nicht ernähren können.

domradio.de: Rund zwei Millionen Menschen mussten vor Boko Haram fliehen. Das nigerianische Militär hatte erst vor kurzem den Sieg über die Islamisten verkündet - wie passt das damit zusammen, dass die Flüchtlinge jetzt dermaßen leiden?

Edelmann: Es gibt zwei Arten von Flüchtlingen. Die einen sind Binnenflüchtlinge, die in Flüchtlingslagern untergekommen sind. Die große Mehrheit kam aber bei Familien in verstreuten Dörfern unter. Nachdem der Staat den Sieg über die Islamisten verkündet hat, sind viele zurückgekehrt - zum einen, weil die aufnehmenden Familien selbst an die Grenzen ihrer Kapazität kamen, aber auch, weil der Staat zahlreiche staatliche Flüchtlingslager schloss und die Menschen aufforderte, zurückzukehren in vermeintlich sichere Gebiete.

Die rückkehrenden Flüchtlingsfamilien hatten ihre Dörfer kurz vor der Ernte verlassen, kommen nun zurück und hatten in der Zwischenzeit ihre Felder nicht bestellt, so dass sie vor dem Nichts stehen. Menschen, die vor allem von der Landwirtschaft für den Eigenbedarf leben, kommen nun in Dörfer zurück und haben keinerlei Lebensgrundlage und keinerlei Lebensmittel.

domradio.de: Sie stehen ja in ständigem Kontakt mit Ihren Projektpartnern vor Ort. Was sagen die Ihnen?

Edelmann: Wir tauschen uns regelmäßig über die Lage vor Ort aus. Ich konnte heute mit dem Bischof von Yola sprechen, das ist die Diözese etwas südlich von Maiduguri, der Hochburg von Boko Haram. Und auch er bestätigt die dramatische Situation, er hat sich selbst auf dem Land davon ein Bild gemacht. Der Bischof erzählte mir, dass täglich rund zwanzig Familien vor seinem Bischofshaus stehen und um Nahrung und um Hilfe bitten. Auf dem Gelände der Kathedrale werden außerdem noch zahlreiche Binnenflüchtlinge von der Kirche versorgt. Also die Situation ist dramatisch.

domradio.de: missio unterstützt ja Projekte in der gesamten Region. Was ist der Schwerpunkt ihrer Arbeit dort? 

Edelmann: Wir stehen im Nordosten in Kooperation mit der Diözese Maiduguri und Yola und unterstützen zahlreiche Projekte im Bereich Flüchtlingssoforthilfe. Wir haben zum Beispiel ein Projekt unterstützt, wo Lebensmittel -Mais und Hirse verteilt wurden. Auch der Bischof selbst hat dort mit angepackt, in Zusammenarbeit mit Imamen vor Ort. Darüber hinaus wurden Medikamente, Decken und Matratzen verteilt.

Daneben ist die Kirche auch im Bereich Seelsorge tätig und bietet Traumaberatung an. Sie lässt aktuell Traumaberater ausbilden, die mit der schwerst traumatisierten Bevölkerung arbeiten; mit den vielen Frauen und Mädchen, die ihre Väter, Männer und Söhne verloren haben, mit Frauen, die vergewaltigt und entführt wurden. Um diesen Menschen auch eine Perspektive in die Zukunft zu geben.

domradio.de: Das heißt, Ihre Projektpartner reagieren schon längst auf die akute Hungersnot. Wenn jetzt Menschen helfen wollen: Wie können die Sie unterstützen?

Edelmann: Auf jeden Fall spenden an Organisationen wie missio, die mit den Partnern vor Ort arbeiten. Um denen zu ermöglichen, die Menschen zu versorgen und auch im Gebet zu begleiten.

Das Interview führte Hilde Regeniter.


Quelle:
DR