Ein Jahr nach dem Brandanschlag auf das Kloster Tabgha

Zwischen Verwundbarkeit und Dankbarkeit

Vor gut einem Jahr haben religiöse Fanatiker einen Brandanschlag auf das Kloster Tabgha am See Genezareth verübt. Es gehört zur Dormitio-Abtei in Jerusalem. Abteisprecher Nikodemus Schnabel über den schwierigen Wiederaufbau und tröstliche Spenden.

Pater Nikodemus Schnabel (DR)
Pater Nikodemus Schnabel / ( DR )

domradio.de: Das Kloster brannte am 18. Juni 2015 nieder. Vor sechs Tagen waren sie noch in Tabgha. Wie geht der Wiederaufbau denn voran?

Benediktinerpater Nikodemus Schnabel: Er hat gerade erst angefangen. Obwohl man vor allem in israelischen Medien gelesen hat, es sei schon alles fertig. Wir sind jetzt gerade bei den allerersten Tagen, um den Wiederaufbau überhaupt zu beginnen. Um nochmal klar zu machen, was da abgebrannt ist: Die Kirche und der Bereich, wo die Mönche wohnen, haben nicht gebrannt. Abgebrannt ist das Atrium - also der gesamte Bereich, wo Mönche auf Pilger treffen und Pilger auf Mönche. Sprich: Die Klosterpforte, das Beichtzimmer, das Stuhllager, der Diwan, wo man Pilgern Erfrischungen reichen kann, der Klosterladen. Dieser Bereich ist komplett zerstört und wird jetzt langsam wieder aufgebaut.

Dass der Wiederaufbau jetzt erst startet, liegt an zwei Faktoren: Wir hatten ein Jahr lang überhaupt keine Baugenehmigung für den Wiederaufbau. Das heißt, wir hätten gar nicht gedurft, selbst wenn wir das Geld gehabt hätten. Das andere ist: Wir haben bis heute nicht alles Geld zusammen. Der Schaden beträgt ja 1,6 Millionen Euro, das ist objektiv geschätzt worden. Tatsächlich haben wir dieses Geld noch lange nicht beisammen. Aber Dank vieler Spender haben wir so viel Geld, dass wir gesagt haben: Wir können jetzt zumindest anfangen mit dem Wiederaufbau, der insgesamt acht Monate dauern wird. Wir hoffen, dass wir innerhalb dieser acht Monate das komplette Geld zusammen haben, damit wir am Ende nicht mit Schulden dastehen.

domradio.de: Wird der Wiederaufbau denn ausschließlich aus Spenden finanziert?

Pater Nikodemus: Nein. Aber der Hintergrund dazu beinhaltet auch eine gewisse Dramatik. Der Staat Israel hat zu Anfang gesagt: Wir bauen das Kloster wieder auf, weil die Tat ein Terroranschlag war. Dann gab es ein Schreiben von der zuständigen Abteilung im israelischen Finanzministerium für Terrorschäden. Darin stand: Nein, wir können nichts zahlen, denn es war kein Terroranschlag, sondern eine religiös motivierte Gewalttat - die ist nicht unser Portfolio. Dann kam der israelische Staatspräsident Rivlin zu uns - sowohl wir als auch der Papst hatten ihn auf das Thema angesprochen. Rivlin hat Druck gemacht und deshalb wurde nachverhandelt.

Wenn ich meine Brüder richtig verstehe, sieht es jetzt so aus, dass das Geld in den nächsten Tagen eintreffen wird. Vielleicht ist es auch schon gestern gekommen. Ein Drittel für den puren Wiederaufbau bekommen wir vom Staat. Das heißt, zwei Drittel müssen wir selbst stemmen, durch Spenden.

domradio.de: Bekommen Sie auch vom Deutschen Verein vom Heiligen Land Spenden?

Pater Nikodemus: Ja. Der Verein ist ja der Eigentümer. Es gibt mehrere Seiten, die Spenden sammeln. Einerseits der Deutsche Verein vom Heiligen Land, dem wir auch sehr dankbar sind. Jeder, der am Palmsonntag etwas in die Kollekte gezahlt hat, baut quasi indirekt auch Tabgha mit auf. Denn ein Teil der Kollekte geht auch an den Deutschen Verein vom Heiligen Land. Es gibt aber auch noch andere Spender - und das ist eine sehr tröstliche, frohe Botschaft. Es waren ja jüdische Extremisten, die diesen Anschlag verübt haben - eine sehr, sehr kleine Splittergruppe innerhalb des national-religiösen Judentums, die wirklich zu allem bereit ist und nicht davor zurückschreckt, mit Brandbeschleunigern ein Kloster anzustecken.

Die Extremisten haben ihre Tat auch mit einem Gebet untermauert. Und weil das auch eine Beschmutzung eines wichtigen jüdischen Gebets war - des Alenu-Gebets - gibt es auch eine Gruppe von Rabbinern, die Spenden zum Wiederaufbau unseres Klosters sammeln. Es packen also viele Leute gemeinsam mit an. Das ist fast wie dieser biblische Ort der Brotvermehrung: die 5.000, die satt werden, weil alle geteilt haben. Ich glaube, Tabgha wird mit sehr, sehr vielen Händen wieder aufgebaut.

domradio.de: Das Atrium hat in Flammen gestanden, also der Teil, in dem die Mönche mit den vielen Pilgern zusammentreffen - wie Sie eben gesagt haben. Im Grunde haben die Brandstifter also mitten in Herz getroffen, oder?

Pater Nikodemus: Ja - wenn man so will. Noch schlimmer wäre die Kirche gewesen, mit den wunderschönen Mosaiken oder der Wohnbereich, weil das Risiko höher gewesen wäre, dass Menschenleben zu Schaden kommen. Aber der Brand des Atriums ist tragisch für den Pilgerort Tabgha. Denn die Nahtstelle zwischen Kloster und Außenwelt, zwischen Pilgern und Mönchen, ist getroffen worden; einmal finanziell-wirtschaftlich durch unseren Klosterladen, von dem wir auch leben. Wir haben viele Angestellte, wir haben eine soziale Verantwortung. Wir mussten die Angestellten zwei Wochen lang weiter bezahlen, haben aber nicht einen Cent eingenommen. Es war natürlich auch überhaupt keine Diskussion, dass wir die Angestellten nicht entlassen - da hängen ja Familien dran. Auf der anderen Seite wurde aber eben auch die Begegnung getroffen: der Diwan, der Bereich, wo Pilger mit Mönchen reden können, das Beichtzimmer. All diese wichtigen, kostbaren Orte, die den Pilgerort Tabgha ausmachen.

Zwei Wochen lang war damals nach dem Brandanschlag alles zu. Und wir haben sofort gesagt: Wir stehen eigentlich vor zwei Möglichkeiten. Die eine Möglichkeit wäre: Jetzt haben wir Panik und Angst und schauen, wie wir die Mauern höher ziehen und uns einigeln können. Oder wir sagen: Nein, jetzt erst recht. Wir sind der Ort, der immer offen war, besonders unsere Behinderten-Jugendbegegnungsstätte - das Beit Noah - wo wirklich die Menschen, die ganz am Rande stehen, bei uns entspannen können. Wir sind ein Ort, wo Juden, Christen, Muslime, Atheisten, Drusen - Menschen aus aller Herren Länder - zusammenkommen. Und jetzt werden wir bewusst weiter jeden mit offenen Händen, Armen und Herzen empfangen. Momentan hat das eben den Charme des Provisorischen. Der Klosterladen ist auf dem Vorplatz in Containern untergebracht. Wenn man beichten will, geht man in die Sakristei. Aber irgendwie geht es halt doch. Tabgha läuft weiter und ich kann jedem Pilger nur sagen: Herzlich Willkommen in Tabgha! Tabgha steht für Sie offen! 

domradio.de: Hatte der Brand Einfluss auf die Pilgerzahlen?

Pater Nikodemus: Der Brandanschlag im engeren Sinne nicht. Wir haben ja einen allgemeinen Einbruch der Pilgerzahlen. Aber die Pilger bleiben glaube ich nicht wegen des Brandes in Tabgha weg, sondern es spielen sehr erschiedene Faktoren eine Rolle: Ich würde sagen, zum einen eine allgemeine Unsicherheit, weil die ganze Region als sehr unruhig wahrgenommen wird. Zum Teil finanzielle Gründe, etwa bei den Pilgern aus Griechenland oder Zypern, denen einfach gerade das Geld fehlt, um sich eine Pilgerreise zu erlauben. Und natürlich bei vielen auch eine Ermüdung, die sagen: Ich finde die ganze Region so anstrengend.

Ich glaube nicht, dass wirklich der Brand in Tabgha die Pilgerzahlen beeinflusst hat, weil wir auch immer klar signalisiert haben: Es war wirklich nur zwei Wochen zu und danach war voller Betrieb. Es kommen weiter die Behinderten. Es kommen weiter die Jugendlichen. Wir feiern weiter mit Pilgern Gottesdienste. Tabgha läuft, Tabgha lebt! Kommen Sie! 

domradio.de: In acht Monaten soll dann alles wieder fertig aufgebaut sein. Blicken Sie mal hoffnungsfroh in die Zukunft. Gibt es dann ein großes Wiedereröffnungsfest?

Pater Nikodemus: Ich denke. ja. Ich blicke absolut hoffnungsfroh in die Zukunft. Ich würde sagen, Tabgha hat für uns als Mönchsgemeinschaft zwei Elemente, die sich in die Seele eingebrannt haben. Das eine sind die Verwundbarkeit und der Schock darüber, wie man so zerstörerisch sein kann, einen Anschlag auf so einen wunderbaren Ort zu verüben. Das andere ist die Dankbarkeit über die Solidarität. In den Tagen nach dem Brandanschlag kamen tausende von Menschen - Juden, Christen, Muslime, Drusen, Atheisten - die gezeigt haben: Tabgha ohne Mönche, Jerusalem ohne Mönche, Israel ohne Mönche ist nicht mehr mein Heiliges Land. Mit jedem Tag, den der Brandanschlag wegrückt, wächst die Dankbarkeit für diese Solidaritätswelle.

Das Interview führte Uta Vorbrodt. 


Quelle:
DR