Ein Jahr nach dem Friedensabkommen ist in Mali kein Frieden in Sicht

"Waffen werden wie Erdnüsse verkauft"

11.000 UN-Soldaten sollen den Norden Malis stabilisieren. Doch die Zahl der Anschläge nimmt zu. Wie viele seiner Landsleute hat der Hirte Cissé wenig Hoffnung auf Besserung. Und langsam geht ihm die Geduld aus.

Autor/in:
Bettina Rühl
Militärtraining in Mali / © Kristin Palitza (dpa)
Militärtraining in Mali / © Kristin Palitza ( dpa )

Wenigstens die Schafe haben ihn nicht enttäuscht. Sie haben Amadou Cissé zwei Junge geboren, jetzt hat er vier Tiere. Der 37-Jährige wohnt in der Ortschaft Bara, etwa 60 Kilometer von Gao entfernt, einer von drei Städten im Norden Malis. Cissé hofft, bald wieder eine Schafherde zu haben - wie früher. "Ich bin dankbar dafür", sagt er. "Es ist ein Neuanfang."

Hoffnung begraben

Sein Optimismus gilt lediglich den Tieren, nicht aber der Lage in seiner konfliktgeplagten Heimat. Wie viele seiner Landsleute hat der Hirte Cissé diese Hoffnung schon wieder begraben. Denn der Wüstenstaat im Zentrum Westafrikas befindet sich seit einem Militärputsch 2012 und der anschließenden Besetzung des Nordens durch mehrere bewaffnete, überwiegend islamistische Gruppen in einer schweren Krise. Dabei gibt es seit ziemlich genau einem Jahr ein Friedensabkommen zwischen der Regierung und etlichen der Gruppen, dessen Einhaltung die UN-Mission Minusma mit fast 11.000 Soldaten überwachen soll. Doch von Frieden ist das Land weit entfernt.

Zur Minusma gehört auch ein deutsches Kontingent von derzeit rund 300 Soldaten, dessen Stärke auf 650 aufgestockt werden soll. Aufgabe der in Gao stationierten Deutschen ist vor allem die Aufklärung terroristischer Aktivitäten. Und davon gibt es einige. Die Zahl der Anschläge habe in diesem Jahr zugenommen, sagt der dänische Minusma-Kommandeur, Generalmajor Michael Lollesgaard.

Islamistischer Terror

Ziel der terroristischen Attentate sind vor allem Soldaten der malischen Armee und der UN-Mission. Ende Mai kamen die Angriffe dem deutschen Kontingent in Gao sehr nahe: Bei einem Doppelanschlag wurde ein chinesischer UN-Soldat in einem Camp in Gao getötet, ebenso wie drei Zivilisten des UN-Minenräumdienstes UNMAS. Eine islamistische Terrorgruppe bekannte sich zu dem Angriff und erklärte, er habe "kreuzzüglerischen Besatzungskräften" gegolten.

Dass die Minusma unter den gegenwärtigen Umständen damit überfordert ist, die Lage in Mali zu stabilisieren, wird aus Kommandeur Lollesgaards Worten überdeutlich: Es gebe mehr Terroranschläge, mehr kriminelle Überfälle und mehr bewaffnete Konflikte zwischen den unterschiedlichen Ethnien als im Vorjahr. "Wir haben fast 11.000 Soldaten, und die malische Armee hat in der Region ihrerseits starke Kräfte. Aber Mali ist riesig, wir können nicht das ganze Territorium kontrollieren."

Schleppende Umsetzung des Friedensabkommens

Die Ursache für die erneut steigenden Spannungen sei die schleppende Umsetzung des Friedensabkommens von Mitte 2015. Darin ist sich der Minusma-Kommandeur mit politischen Analysten einig. Jan Fahlbusch von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bamako ist etwas optimistischer, seit die Konfliktparteien in der Nacht auf den 15. Juni ein weiteres Abkommen unterzeichneten.

Darin bekräftigen Regierung und Rebellen, was sie schon vor einem Jahr vereinbart haben: dass im Norden kommunale Übergangsverwaltungen gebildet und eingesetzt werden, dass die bewaffneten Gruppen kaserniert und entwaffnet werden, dass Aufständische und malische Armee in gemischten Gruppen auf Patrouillen gehen. "Aber Mali ist noch nicht über den Berg", sagt auch Fahlbusch. Damit sich die Lage stabilisiere, sei vor allem eine grundlegende Reform des malischen Staates nötig. Nicht zuletzt die Reform der Justiz, die heute ihren Namen so nicht verdiene, weil sie zutiefst korrupt sei.

Die Enttäuschung über den Staat ist in Gao und den umliegenden Dörfern überall zu spüren. "Was hier läuft, damit die Bevölkerung in Zukunft wieder für sich selbst sorgen kann, läuft nur dank der Hilfsorganisationen", sagt der Hirte Cissé wütend. Die beiden Schafe hat von einer malischen Organisation bekommen, die von Care Deutschland unterstützt wird.

Wirtschaftliche Folgen des Terrors

Viele Menschen im Norden Malis leiden unter den wirtschaftlichen Folgen der islamistischen Besetzung und der anhaltend schlechten Sicherheitslage. Cissé ist dafür ein gutes Beispiel. "Als die Islamisten 2012 die Gegend kontrollierten, traute ich mich mit meiner Herde nicht mehr in die Wüste." Weil er im Dorf nicht genug Futter für seine Schafe und Ziegen fand, verhungerten ihm 20 Tiere, mehr als die Hälfte seiner Herde. Die übrigen 15 verkaufte er notgedrungen.

Seitdem versucht er, den Unterhalt für seine Familie als Wasserverkäufer zu verdienen. Vom relativen Wohlstand früherer Jahre ist nichts mehr zu spüren. Früher habe er alle seine vier Kinder in die Schule geschickt, jetzt müssten die beiden älteren mitarbeiten. "Alleine kann ich meine Familie nicht mehr ernähren." Dass seine beiden 15- und 18-jährigen Söhne nun kaum Perspektiven auf eine bessere Zukunft haben, weiß er auch.

Der Mann mit den freundlichen Gesichtszügen wirkt ruhig. Aber unter der Oberfläche wächst seine Wut. "Wenn der Staat nicht bald etwas für uns tut, werde ich auch zu den Waffen greifen. In Mali findet offenbar nur Gehör, wer gewalttätig wird." An eine Waffe zu kommen, sei das geringste Problem. "Die werden hier wie Erdnüsse verkauft."


Quelle:
epd