Reisebericht über Widersprüche im Iran

Kopftücher und Smoothies

Öffentliche Hinrichtungen, flüchtende Christen und eine aggressive Atompolitik prägen die Iran-Berichte. Doch in Teheran hat DLF-Redakteur Schillmöller einen normalen Alltag erlebt. Er wohnte in einer christlichen Gemeinde.

Straßenszene aus Teheran / © Abedin Taherkenareh (dpa)
Straßenszene aus Teheran / © Abedin Taherkenareh ( dpa )

domradio.de: Auch wenn Irans aktueller Präsident Rohani sicher gemäßigter ist als sein Amtsvorhänger Ahmadinedschad - der Iran ist und bleibt ein autoritär regierter Staat. Da kann man als westlicher Journalist nicht einfach mal drauf los recherchieren...Wie sind Sie vorgegangen, ohne sich selbst oder andere in Gefahr zu bringen?

Jörg-Christian Schillmöller (Deutschlandfunkredakteur): Man muss ein offizielles Pressevisum beantragen. Das geht über die iranische Botschaft in Berlin, das geht dann von dort zum Außenministerium, zum Innenministerium und dann zum Ministerium für Kultur und Islamische Führung und sie prüfen das. Dann kommt noch vielleicht die Ausländerbehörde und der Geheimdienst hinzu und am Ende, meistens sehr kurz vor Reiseantritt, kriegt man dann die Arbeitserlaubnis. Man muss auch die Themen, die man machen möchte, zumindest grob umrissen einreichen. Wenn das dann alles klappt, dann ist man auch total sicher als Reporter, weil dann ist man wirklich offiziell dort. Man sollte auf gar keinen Fall ohne dieses Pressevisum dort arbeiten, das bringt einen ins Gefängnis.

domradio.de: Sie waren nach 2008 und 2011 jetzt schon zum dritten Mal im Iran, in der Hauptstadt Teheran  - haben Sie dieses Mal eine atmosphärische Veränderung in der Hauptstadt gemerkt nach Aufhebung der Sanktionen?

Schillmöller: Es gibt eine ganz stark spürbare Hoffnung. Die Menschen sind ungeduldig und möchten, dass sich sozusagen im Portemonnaie ein bisschen auswirkt, dass das Land sich wirtschaftlich zumindest geöffnet hat durch das Ende der Sanktionen. Jetzt kommen viele Wirtschaftsdelegationen ins Land, die Leute merken auch, dass mehr Touristen ins Land kommen und freuen sich, dass die Geschäfte auf dem Basar etwas besser laufen. Touristen haben ja sehr, sehr schmerzhaft gefehlt in den letzten Jahren. Es ist mir aufgefallen, dass sich in einigen Bereichen der Gesellschaft die Lage eher verschlechtert hat. Grundsätzlich darf man nicht unterschätzen, es ist ein Land von 77 Millionen Menschen, das einen viel normaleren Alltag leben kann als wir vielleicht aus der Ferne denken.

domradio.de: Gewohnt haben Sie - und das hat mich gewundert - in der deutschsprachigen evangelischen Gemeinde in Teheran. Können die Christen da ganz offen ihr Christsein leben?

Schillmöller: Ja, schon. Das ist eine kleine Gemeinde, sie hat eine Kirche im Norden von Teheran mit einem reizenden Pfarrer-Ehepaar und rund 30-50 Gemeindemitgliedern. Es wird da schon drauf geachtet, dass möglichst keine Iraner und Farsi-sprachigen Menschen dazu kommen, damit diese Gemeinde ihren Glauben leben kann und vielleicht auch den Glauben nicht so groß an andere weitergibt. Im Großen und Ganzen haben sie da ein lebendiges Gemeindeleben, haben auch Gottesdienste und Konzerte. Das ist auch viel einfacher als man denkt. Es gibt aber soweit ich weiß keine deutschsprachige katholische Seelsorge (Anm. d. Red.: es gibt mit Pater Franco Pirisi einen katholischen Seelsorger in Teheran, der u.a. Farsi, Englisch und Französisch spricht).

domradio.de: Wie frei können die Menschen heute im Iran leben, was sagen Sie nach Ihrer zehntägigen Reise?

Schillmöller: Man unterschätzt aus deutscher Fernsicht durch diese Reduzierung der Themen, die aus dem Iran berichtet werden - das sind ja meistens Atomprogramm, Todesstrafe. Das stimmt alles, das ist auch schlimm. Es gab laut Amnesty im vergangenen Jahr fast 1000 Hinrichtungen. Das ist die höchste Hinrichtungsrate pro Kopf weltweit, immer noch. Es gibt aber trotzdem natürlich einen Alltag unterhalb der Regime-Ebene.

In Teheran leben 16 Millionen Menschen, wenn sie dort durch die Straßen fahren, die Cafés sehen. Ich musste mich manchmal im Café wirklich ein bisschen kneifen, um nicht zu denken: "Das könnte auch Berlin sein". Die Kopftücher sind sehr bunt. Es ist ja das einzige Land auf der Welt mit Kopftuchpflicht, es ist gesetzlich vorgeschrieben auch für Ausländer. Die Kopftücher rutschen auch manchmal sehr weit nach hinten, vielleicht auch weiter, als ich es bei früheren Reisen erlebt habe. Man trinkt Smoothies und alkoholfreie Mojitos. Ich spreche jetzt nur für Teheran, aber es gibt dort auch einen normalen Alltag, in dem manchmal das größere Problem auch die Luftverschmutzung sein kann. Es soll jetzt überhaupt nicht relativieren, dass es in dem Land viele Menschenrechtsverstöße gibt, aber grundsätzlich können Sie dort einen normalen Alltag bestreiten.

Das Interview führte Hilde Regeniter.


Quelle:
DR