"Justitia et Pax" kritisiert Schweizer Referendum zum Ausländerrecht

Gleiches ungleich behandeln

Am Sonntag stimmen die Schweizer über eine Verschärfung des Ausländerrechts ab - Nicht-Schweizer sollen dann bereits nach Bagatell-Delikten ausgewiesen werden. Scharfe Kritik äußert im Vorfeld "Justitia et Pax" bei domradio.de.

Schweizer stimmen über Verschärfung des Ausländerrechts ab / © Alessandro Della Valle (dpa)
Schweizer stimmen über Verschärfung des Ausländerrechts ab / © Alessandro Della Valle ( dpa )

domradio.de: Was da zur Abstimmung steht, dass ist ein regelrechter Abschiebeautomatismus. Wer kriminell wird und keinen Schweizer Pass in der Tasche hat, der soll dann, sollte das angenommen werden, zwangsläufig ausgewiesen werden. Was ist daran in Ihren Augen so problematisch?

Wolfgang Bürgstein (Generalsekretär der bischöflichen Schweizer Kommission "Justitia et Pax"): Aus Sicht der Kommission "Justitia et Pax" ist vor allen Dingen problematisch an dieser Vorlage, dass das Gebot der Verhältnismäßigkeit der Strafe völlig ignoriert wird. Es führt - wie sie es eingeführt haben oder angedeutet haben - zu einem Ausschaffungsautomatismus und die konkreten Umstände einer Tat oder die persönlichen Umstände einer Person spielen keine Rolle mehr. Das finden wir höchst problematisch.

domradio.de: Außerdem heißt es, wenn die Initiative tatsächlich durchkommt, dann wird es demnächst in der Schweiz ein doppeltes Recht geben - eins für Schweizer und eins für Nicht-Schweizer?

Bürgstein: Das sehen wir so kommen und das ist auch Sinn und Zweck dieser Initiative. Ich kann das an einem konkreten Beispiel erläutern: Wenn Sie beispielsweise Jugendliche nehmen - vier, fünf Jugendliche, die ihre Lehrabschlussfeier feiern. Und dann zu vorgerückter Stunde beispielsweise feststellen, dass sie kein Bier mehr haben. Sie wissen aber, wo es noch Bier zu holen gibt. Nämlich in der Nachbarwerkstatt und sie brechen dort ein. Sind in ihrer Feierlaune, überlegen sich die Konsequenzen nicht. Dann hat das zur Folge, wenn sie angeklagt werden, dass die drei oder vier Schweizer Jugendlichen vermutlich mit einer Geldstrafe belegt werden. Der eine Mittäter, der keinen Schweizer Pass hat, wird dann des Landes verwiesen. Diese Entwicklung finden wir höchst tragisch und dramatisch.

domradio.de: Welche Rolle haben denn bei den Diskussionen jetzt in der Schweiz die Erfahrungen der Kölner Silvesternacht gespielt?

Bürgstein: Naja, die haben natürlich Wasser auf die Mühlen der Befürworter dieser Initiative gegossen. Die Vorfälle in Köln kamen aus meiner Optik zu einem sehr ungünstigen Zeitpunkt, weil es natürlich diese diffusen Ängste vor den Ausländern, die mit ihrem kulturellen Hintergrund hier sind und die angeblich ganz andere Wertvorstellungen als wir haben, schürt. Diese Ängste wurden natürlich genährt und Köln hat gezeigt: Da gibt es tatsächlich ein Problem. Auch wenn man die Details nicht kannte und bis heute auch noch nicht kennt: Das war Wasser auf die Mühlen der Befürworter dieser Initiative.

domradio.de: Eine Annahme des sogenannten "Ausschaffungsreferendums" hätte eine Verfassungsänderung zur Folge und es gibt, das haben Sie mir im Vorgespräch erklärt, keine höhere Instanz - wie zum Beispiel unser Bundesverfassungsgericht - die das noch einmal überprüfen würde? Das heißt Sie haben also eine ganz grundsätzliche Kritik an dieser Volksabstimmungspraxis in der Schweiz?

Bürgstein: Das ist so. Die Schweizer Demokratie funktioniert genau so: Der Höchste, der Souverän ist das Volk. Wenn es also eine Volksinitiative gibt, dann kommt bei einer Annahme der Initiativtext automatisch in die Verfassung, ist Teil der Verfassung. Und von daher muss man natürlich auch fragen, ob es Sinn und Zweck der Verfassung ist, einzelne Straftatbestände aufzulisten und solch einen Ausschaffungsautomatismus festzuschreiben. Da wird auch ein Stück weit Stimmung gemacht gegen die Gerichte, gegen die Richter und ein Misstrauen gegen die Rechtsprechung in der Schweiz befördert. Das finden wir sehr tragisch.

domradio.de: Was sagen denn die aktuellen Umfragen? Wird die von der konservativen Volkspartei vorangetriebene sogenannte Durchsetzungsinitiative durchkommen?

Bürgstein: Also die Informationen, die mir vorliegen, besagen, dass es höchst spannend wird am Sonntag. Es ist nicht klar, ob die Initiative angenommen oder abgelehnt wird. Noch vor einigen Monaten war die Tendenz eher klar. Die Umfragen sprachen für eine Annahme dieser Initiative. Bleibt also zu hoffen, dass die letzten Wochen und Monate dazu beigetragen haben, dass da ein Klärungsprozess stattfinden konnte und, dass die Initiative am Sonntag abgelehnt wird. Vielleicht noch eine kleine Ergänzung: Keine Volksabstimmung hat in der jüngeren Vergangenheit so viele kontroverse Diskussionen hervorgerufen wie diese Abstimmung. Das hat etwas Positives und spricht für die Lebendigkeit der Demokratie in der Schweiz. Es hat aber auch eine Kehrseite. Und die Kehrseite ist: Es führt zu einer Polarisierung in der Gesellschaft.

Das Interview führte Hilde Regeniter.


Schweizer Flagge / © Martin Gerten (dpa)
Schweizer Flagge / © Martin Gerten ( dpa )
Quelle:
DR