Seemannsdiakon: In Ägypten wird massiv unterdrückt

Neue Version mit alten Zügen

Präsident al-Sisi hat die Kopten als Glaubensgemeinschaft anerkannt, Ägypten aber wieder zu einem Polizeistaat gemacht. So erlebt es fünf Jahre nach dem arabischen Frühling der deutsche Seemannsdiakon Markus Schildhauer.

Ein Anhänger von al-Sisi / © Tarik Faramawy (dpa)
Ein Anhänger von al-Sisi / © Tarik Faramawy ( dpa )

domradio.de: Wenn Sie die politische Situation Ägyptens heute unter Präsident al Sisi sehen - im Vergleich zur Endzeit Mubaraks Anfang 2011, was würden Sie sagen: ist es besser oder schlimmer geworden?

Markus Schildhauer (Seemannsdiakon in Alexandria): Ich selbst habe den Übergang von Mubarak zum Muslimbruder-Präsidenten Mursi und dann zum aktuellen Staatschef al-Sisi nicht persönlich erlebt, aber ich kann wiedergeben, was meine ägyptischen Freunde erzählen. Im Prinzip sagen sie, zur Zeit Mubaraks war manches noch geregelt  und geordnet, was es jetzt nicht mehr ist. Ganz allgemein hat sich einiges verschlechtert. Tatsächlich sprechen hier aber manche von einem "Mubarak 2.0" im Moment. 

domradio.de: Wenn Sie von Verschlechterungen sprechen – woran machen Sie die fest?

Markus Schildhauer: Ein wichtiger Punkt ist die wirtschaftliche Lage, die mittlerweile wirklich katastrophal ist. Die Devisenreserven sind aufgebraucht; wir haben hier einen Polizeistaat, der alles kontrolliert und überwacht. Die Menschen sind eingeschüchtert in ihrer politischen Meinungsäußerung. Die Kunst hat große Einschränkungen im Bereich ihrer darstellenden Möglichkeiten. Zudem ist seit Jahren eine Konservativisierung im Volk bemerkbar. Wenn ich Bilder von früher aus Alexandria sehe, sitzen die Frauen im Bikini am Strand; heute sitzen sie im Burkini dort. Das sind einfach ganz starke Veränderungen. Aber auch innerhalb der Stadt gibt es sichtbare Veränderungen in vielen Bereichen: Der Müll hat zugenommen, die Verkehrsanarchie hat in ganz erheblichem Maß zugenommen. Autofahren oder als Fußgänger durch die Stadt zu gehen ist ein echtes Abenteuer. Auch aufgrund solcher Entwicklungen sagen viele Ägypter: "Vor der Revolution war alles viel besser!"     

domradio.de: Apropos wirtschaftliche Entwicklung – was hat sich im Tourismus getan?

Markus Schildhauer: Der Tourismus ist heute eine Katastrophe! Früher hat er 30 Prozent des Volkseinkommens ausgemacht, mittlerweile liegt er gerade noch bei zwei oder drei Prozent. Ich selbst war zum Beispiel über Weihnachten am Roten Meer in einem Feriendorf in der Nähe von Sharm el-Sheikh. In unserem Hotel waren 280 Zimmer und unser Zimmer war das einzige, das belegt war. Und so geht es allen anderen Hotels dort. Das führt natürlich dazu, dass die Leute ihre Arbeitsplätze verlieren, dass sie keine Zukunftschance sehen in diesem Land.  

domradio.de: Von den Christen in Ägypten – also den Kopten  - hört man eher Gutes über al-Sisi. Wie erklären Sie das?  

Markus Schildhauer: Al-Sisi ist einer der ersten Präsidenten, die die Kopten als Volks- und Religionsgruppe auch offiziell anerkennt und das auch zeigt. Er war in den beiden vergangenen Jahren zu Weihnachten in einer koptischen Kirche und hat dort auch die Einheit der Kopten betont. Das bedeutet für die Kopten eine unheimliche Aufwertung. Gerade im Vergleich zur Mursi-Zeit, wo Kirchen angezündet und sie selbst verfolgt worden sind. Al-Sisi aber erkennt sie an. Das ist auch deshalb geschickt von ihm, weil die Kopten auch ein wichtiger Wirtschaftsfaktor sind. Viele Läden gehören den Kopten und viel Handel wird durch die Kopten betrieben. Wegen alle dem finden die Kopten Herrn al-Sisi natürlich ganz toll.  

domradio.de: Das heißt, den Christen geht es jetzt deutlich besser unter al-Sisi als unter Mursi oder Mubarak?

Markus Schildhauer: Was mir die Leute sagen, ist, dass sie als Religionsgruppe tatsächlich besser gestellt sind. Sie sind anerkannt und nicht wie unter Mursi eine verfolgte Gruppe. Da wurden sie ja wirklich verfolgt und schlimm behandelt. Also geht es ihnen jetzt deutlich besser, das stimmt.

domradio.de: Fühlen Sie selbst sich denn in Ihrer Arbeit vom Regime eingeschränkt?

Markus Schildhauer: Ich fühle mich sehr massiv eingeschränkt. Als Seemannspastor ist meine Aufgabe ja, Seeleute an Bord zu besuchen und hier im Hafen herrscht eine unheimlich hohe Korruption. Permanent werde ich angesprochen auf Geschenke, ständig soll ich ein Schutzgeld zahlen. Genehmigungen zu bekommen ist ein Abenteuer. Für einen Führerschein musste ich ein halbes Jahr warten und zum Beispiel mein Abiturzeugnis vorlegen. Es ist einfach schwierig. 

domradio.de: Bekommen Sie in Ihrem Alltag auch darüber hinaus etwas mit von der autoritären Härte der Regierung?

Markus Schildhauer: Wir bekommen immer wieder etwas davon mit. Gerade zum Revolutionstag sehen wir eine unheimlich hohe Polizeipräsenz in der ganzen Stadt. Wir bekommen auch immer wieder mit, dass Freunde Problem bekommen, wenn sie sich öffentlich äußern. Ich bin hier in völkerrechtlichen Gruppen aktiv, auch im Bereich der Flüchtlingsfragen, und da wird ganz massiv unterdrückt. Wir haben hier eben wirklich einen Polizeistaat. Gegenüber unseres Seemannheims ist zum Beispiel ein Gefängnis. Als unsere Besucher sich das einmal von außen angeschaut haben, wurden sie gleich eine Stunde lang festgehalten und mussten im Gefängnis ihre Fotoapparate herzeigen.

domradio.de: Ist in Ihren Augen also wirklich gar nichts von der großen Hoffnung auf Demokratie übrig geblieben, die 2011 doch so viele Ägypter gehegt hatten?

Markus Schildhauer: Das ist eine sehr schwere Frage und sehr schwer für mich, richtig zu beurteilen. Ich glaube, wir erleben auf der einen Seite doch so etwas wie einen gesellschaftlichen Wandel. Da ist schon etwas da, was auch Chancen birgt. Aber der gesellschaftliche Dialog, der eigentlich notwendig wäre, der findet im Moment zumindest noch nicht so statt, dass da eine große Entwicklung in die Zukunft sein kann.

Das Gespräch führte Hilde Regeniter.


Quelle:
DR