COMECE-Mitglied über Terrorwarnung in Brüssel

Leere Straßen und belgischer Humor

Den vierten Tag in Folge herrscht in der belgischen Hauptstadt Brüssel die höchste Terrorwarnstufe. Von einer angespannte Lage und absurden Reaktionen der Bewohner berichtet COMECE-Mitglied Michael Kuhn im domradio.de-Interview.

Leere Straßen und Cafes in Brüssel / © Olivier Hoslet (dpa)
Leere Straßen und Cafes in Brüssel / © Olivier Hoslet ( dpa )

domradio.de: Wir erreichen Sie im Büro der COMECE, im Europaviertel. Haben Sie auf Ihrem Weg dorthin viel mitbekommen von diesem ganz besonderen Zustand in Brüssel?

Michael Kuhn (stellvertretender Generalsekretär der COMECE - der Kommission der Bischofskonferenzen in der EU): Im Moment ist es einfach so, dass keine U-Bahn fährt. Viele Firmen haben ihre Mitarbeiter aufgefordert, von zu Hause aus zu arbeiten. Die Schulen sind geschlossen. Das einzig Auffällige für mich heute war, dass ich auf dem Weg ins Büro mit dem Fahrrad nicht hinter Autoschlangen herradeln musste, sondern dass eigentlich die Straßen frei sind. Demnach bleiben offensichtlich viele Menschen zu Hause und arbeiten von dort aus. Brüssel macht einen gespenstischen Eindruck, weil durch die leeren Straßen das Militär und die Polizei patrouillieren. Das gibt einem das Gefühl, in einer Art Ausnahmezustand zu leben.

domradio.de: Wir haben im Fernsehen die Bilder der leer gefegten Brüsseler Innenstadt gesehen. Was ist das für ein Gefühl, in so einer Stadt unterwegs zu sein  - unter dem Damoklesschwert des Terrors?

Michael Kuhn: Das Problem ist, dass niemand weiß, wo etwas passieren kann. Die Leute nehmen die Bedrohung und die Maßnahmen der Regierung sehr ernst. Man kennt die Viertel, in denen konzentriert die Dschihadisten wohnen. Aber man weiß auch, dass das sicher nicht die Viertel sein werden, in denen etwas passieren wird, sondern man hat vielmehr Angst, dass es auf der Grande Place, auf dem Weihnachtsmarkt oder im Europaviertel passieren kann. Gerade deshalb ist der Weihnachtsmarkt auch gar nicht eröffnet worden, die Grande Place leergefegt und im Europaviertel sind nur ganz wenige Leute auf der Straße, weil sie Angst haben, dass bei einer größeren Menschenansammlung etwas Unerwartetes wie in Paris passieren kann.

domradio.de: Was ist Ihr Eindruck - haben die Menschen große Angst und leben unter Schock?

Michael Kuhn: Ein Schock ist es nicht. Es gibt eine interessante Geschichte, die Sie vielleicht auch mitbekommen haben. Am Sonntag hat die Polizei die Menschen in Brüssel aufgefordert, über die sozialen Netzwerke keine Fotos von Aktivitäten auf der Straße, die man gemeinsam mit anderen unternimmt, mit anderen zu teilen. Daraufhin hat der absurde belgische Humor zugeschlagen und es gibt den Ausdruck hier dafür, wenn man nicht zu einem Termin oder einer Verabredung kommen will oder darf, dann schickt man seine Katze. Und plötzlich waren die sozialen Netzwerke voll von Katzen in den absurdesten Situationen, wie sie beispielsweise militärisch strategische Bücher lesen oder so etwas Ähnliches.

domradio.de: Die Bürger sind aufgerufen, vorsichtig zu sein und zum Beispiel Menschenmengen zu meiden, gleichzeitig sollen sie ihr Leben so normal wie möglich weiterführen. Wie bekommt man so etwas hin? 

Michael Kuhn: In dem man einfach zu Hause bleibt. Am Sonntag war kein Markt. Das ist meistens für mich der Zeitpunkt, an dem ich nach dem Gottesdienst in der Kirche für die Woche einkaufen gehe. Da schlägt man sich halt mit dem durch, was man im Haushalt so vorfindet. Mit der Aussicht, dass ab morgen die Einkaufszentren auch wieder geöffnet werden sollen, denkt sich jeder, das schafft man schon die ein, zwei Tage. Aber es schlägt schon ein bisschen auf den Magen, weil niemand genau weiß, von wo die Gefahr drohen kann.

domradio.de: Aber das wird doch ab morgen nicht anders sein, oder?

Michael Kuhn: Stimmt. Das wird ab morgen nicht anders sein. Das ist genau der Punkt. Jeder versucht sich vorzustellen, dass dann die Metro wieder fährt und wenn man den Berichten aus den Medien trauen darf, dann heißt das auch, dass man versucht bis morgen genug Militär und Polizei bereitzustellen, um die Metrostationen zu sichern. In den Zügen wird dann unter Umständen auch wieder Militär mitfahren und für eine Fahrt mit dem Zug nach Köln muss man eine halbe Stunde früher kommen, weil es eine Kontrolle gibt, bevor man überhaupt in den Zug steigen darf.

domradio.de: Haben Sie den Eindruck, dass sich die Menschen in einer solchen Situation stärker zu religiösen, zu spirituellen Angeboten hingezogen fühlen?

Michael Kuhn: Am Sonntag beim Gottesdienst in der deutschen Gemeinde konnte ich das nicht so feststellen. Aber ich glaube, dass sich viele Leute Fragen stellen, die indirekt auch mit der Religion zu tun haben, wie beispielsweise die Frage, wie es in einer so diversen Stadt wie Brüssel mit über 30 Prozent Muslimen gelingt, einigermaßen gut zusammen zu leben. Da spielt natürlich die Frage der Religion auch eine Rolle.

Das Interview führte Hilde Regeniter.

 

Quelle:
DR