Pfarrer in Athen gegen Abstrafen von Griechenland

Von Deutschenhass keine Spur

Pfarrer René Lammer hofft, dass nach dem Referendum in Griechenland Weisheit in Europa walten wird. Gerade in der deutschsprachigen Gemeinde in Athen sei die Angst vor einem Grexit groß, berichtet er im domradio.de-Interview.

Opfert Tsipras Varoufakis (r)? (dpa)
Opfert Tsipras Varoufakis (r)? / ( dpa )

domradio.de: In den Nachrichten ist von Volksfest-Stimmung in Athen zu lesen, können Sie das bestätigen?

René Lammer (evangelischer Pfarrer der deutschsprachigen Gemeinde Athen): Das kann ich unbedingt bestätigen. Wir waren natürlich gestern doch zu neugierig und sind mit ein paar Freunden, die uns gerade aus Deutschland besuchen, auf den Syntagma-Platz gegangen. Was für uns auch noch ganz bemerkenswert war, wir haben natürlich Deutsch miteinander gesprochen und es verstehen ja viele Leute Deutsch und dann erklärte man uns noch einmal die ganze Situation, aber das mit einer großen Freundlichkeit. Hier von negativer Stimmung oder Deutschenhass oder so zu sprechen, überhaupt keine Spur. Selbst im Kern des Geschehens der Syriza-Anhänger! Das war für uns eine ganz ermutigende Erfahrung.

domradio.de: Für uns hier in Deutschland ist es oft schwer verständlich, dass sich die Griechen bei ihrem Rettungsprogramm so quer stellen. Sie haben viele Griechen in Ihrem Umfeld, was denken die denn?

Lammer: Es geht um ganz viele Aspekte. Ich habe das schon oft betont und das ist offensichtlich nur schwer zu vermitteln: Jedes Rettungspaket, was in den letzten fünf Jahren hier angekommen, sahen die Griechen doch mit einem Zittern auf sich zukommen, weil sie gesagt haben, jedes Rettungspaket bedeutet für uns einschneidende Kürzungen im Sozialhaushalt und bringt eine weitere Verelendung der Menschen mit sich. Was vom deutschen Bürger gut gemeint war im Sinne von "nun retten wir euch doch" kam hier immer als Kürzung der Sozialleistung, der Renten und der Gehälter an. Dass man davon nicht mehr haben will und wollte, ist schon unmittelbar nachzuvollziehen.

domradio.de: Sie sind Pfarrer der deutschsprachigen Gemeinde, sitzen quasi zwischen den Stühlen. Was denken denn die Deutschen in Athen?

Lammer: Ich denke, bei den Deutschen war jetzt die Angst noch einmal stärker als bei den Griechen, weil die Deutschen natürlich insgesamt in so einer Auslandsgemeinde konservativer sind und über all dem die Angst steht: Fliegen wir aus dem Euro raus, fliegen wir dann irgendwie aus Europa raus und was bedeutet das dann für uns? Da ist schon eine große Befürchtung da. Ich habe von vielen Leuten gehört, dass sie gesagt haben, wenn das so kommt, dann gehen wir zurück nach Deutschland und versuchen uns da wieder eine Existenz aufzubauen. Mit so viel Unsicherheit wie der Einführung einer Drachme könnten wir im Grunde genommen gar nicht umgehen. Die Konsequenzen gehen ja noch mehr in die andere Richtung, dass Griechenland falls das wirklich geschehen sollte, sich politisch natürlich auf Dauer anderswo orientieren wird. Die Russen stehen da, die Chinesen stehen da. Da kann man nur hoffen, dass nun Weisheit in Europa walten wird und man nicht über Ressentiments gegenüber einer politischen Partei wie hier der Syriza sozusagen ans Abstrafen denken würde, sondern gangbare Wege suchen würde für dieses Land, damit es in Europa bleibt und hier einen wichtigen Beitrag leisten kann.

domradio.de: Nun haben wir hier die Meldung vorliegen, dass Finanzminister Varoufakis zurückgetreten ist. Können Sie das nachvollziehen?

Lammer: Nein, ich weiß nicht, welcher Druck da ausgeübt worden ist auf ihn oder was da passiert ist. Gestern haben wir gehört, dass Samaras zurückgetreten ist von der Konservativen Partei, das war natürlich nachzuvollziehen, aber warum Varoufakis jetzt zurücktreten sollte, dafür kann ich keine Gründe finden. Er ist ein Hardliner gewesen, auch rhetorisch. Vielleicht will man da einen Weg frei machen, dass man mit einer Position, mit einer anderen Person sozusagen rein personell wieder Brücken schlagen kann und Verhandlungsbereitschaft einfach ermöglichen will. Das könnte natürlich die Erklärung sein.

Das Interview führte Tobias Fricke


Quelle:
DR