Zisterzienserbauten im Geist des heiligen Bernhard

"Gott ist Breite und Länge, Höhe und Tiefe"

Vom Kloster Clairvaux des 12. Jahrhunderts sind nur wenige Teile übrig. In vielen anderen Abteien der Zisterzienser ist der Geist der Anfangszeit und seines Gründers Bernhard noch stark in der Architektur spürbar.

Kapitelle des Kreuzgangs der Zisterzieneserabtei Senanque in der Provence (KNA)
Kapitelle des Kreuzgangs der Zisterzieneserabtei Senanque in der Provence / ( KNA )

Vor der Welt verborgen wollten sie sein und sich dort ganz Gott widmen. An ihrer Architektur lässt sich der Geist des Zisterziensertums, der Geist des heiligen Bernhard von Clairvaux, besonders gut nachempfinden.

Le Corbusier, einer der Größten der Baukunst des 20. Jahrhunderts, hat vor allem die Abtei Le Thoronet in der Provence studiert. Sein Urteil: "Licht und Schatten sind das Megafon dieser Architektur der Wahrheit, der Stille und der Stärke. Nichts ließe sich hinzufügen."

Funktionelle Schönheit in Stein

Die Zisterzienserklöster des 13. Jahrhunderts folgen einem einheitlichen, strengen Schema, das ganz den Erfordernissen des geistlichen Lebens untergeordnet ist. In der größten Blüte des Ordens (1130-1150), dem "bernhardinischen Zeitalter", wurden die kargen Holzbauten der Gründerjahre durch die den "Zisterzienserstil" prägenden grauen Steinkirchen ersetzt. Dabei verbanden Bernhards Schüler und Anhänger seine Theologie mit den zeitgenössischen Strömungen der Bautechnik, etwa bei der Verwendung steinerner Gewölbe und in der Strenge romanischer Formen. Das übergreifende Ziel des großen Abts, der selbst kein wirkliches Interesse an der Baukunst hatte, war funktionelle Schönheit.

Bei aller technischen Modernität war die nüchterne Strenge des sogenannten Zisterzienserstils dennoch ein Gegenentwurf, ja fast eine Anklage der Detailverliebtheit und des Gestaltungswillens der zeitgenössischen Architekten von Romanik und Gotik. Kirchen ohne pompösen Glockenturm und Wandgestaltung, ohne Triforium und Tribüne, farblose Fenster und Wände ohne Putz: "Keine Tugend ist für uns alle wichtiger als demütige Einfachheit", so das Credo des heiligen Bernhard.

Diese Einfachheit sollte allerdings keineswegs mit Traurigkeit oder gar Hässlichkeit verwechselt werden. Die architektonische Reinheit und Harmonie der Klöster dienten den Mönchen - den "lebendigen Steinen" - bei ihrem täglichen Streben nach Gott. Die spirituelle Kraft der Zisterzienserarchitektur ist auch nach Jahrhunderten noch spürbar.

Madonnenstatue erlaubt

Ornamente und sonstigen Zierrat gibt es in "klassischen" Zisterzienserklöstern nicht. Für Bernhard waren sie nicht nur unvereinbar mit dem Armutsideal, sondern auch irrlichternde Ablenkung von der mönchischen Kontemplation. Pilger könnten die kunstvollen Skulpturen und Fratzen höchstens zum Staunen und Spenden, aber nicht zum Beten anregen, wie Bernhard spottete. Aber da Laien ohnehin keinen Zutritt zu Zisterzienserkirchen hatten, gab es für solch "lächerliche Ungeheuerlichkeit" keinerlei Anlass. Als einzige bildliche Darstellung akzeptierte der glühende Marienverehrer in den Kirchen des Ordens eine Madonnenstatue.

Einen weiteren Rat ihres geistigen Vaters setzten die Ordensarchitekten in gebaute Spiritualität um: "Was ist Gott? Er ist zugleich die Breite und die Länge, die Höhe und die Tiefe. Jede dieser vier heiligen Eigenschaften sei Gegenstand eurer Betrachtungen." Maß und Proportion als Schlüssel zur völligen Übereinstimmung mit der geordneten Harmonie der Schöpfung. Das ist - neben der im Mittelalter verbreiteten Zahlenmystik - ein Grund dafür, warum die Maße der Zisterzienserkirchen in der Regel den musikalischen Proportionen von Oktave (1:8), Quinte (1:5) und Quarte (1:4) folgten.

Licht und Akustik

Auch das Licht und seine Führung galten den Baumeistern der Zisterzienser als wichtiges Element architektonischer Vollkommenheit. Seine Klarheit und Reinheit war ihnen viel wichtiger als die mystischen Effekte, die zeitgenössische Kathedralkünstler wie in Chartres durch buntes Fensterglas erzeugten. In der Schönheit des klaren weißen Lichts offenbarte sich für sie die Schönheit der Schöpfung selbst.

Dazu die Akustik. Der Zisterzienser verbringt den größten Teil des Tages schweigend. Wenn er spricht oder singt, so kommt dem größere Bedeutung zu. Daher suchten die Baumeister des Ordens akustische Perfektion, die den Chorgesang der Mönche tragen und den Kirchenraum in ein riesiges Musikinstrument, einen Hörsaal Gottes, verwandeln sollte. Auch darin folgten sie einem Wort Bernhards: dass "in Glaubensdingen und bei der Wahrheitssuche das Gehör über den Augen steht".


Quelle:
KNA