Afrikas zweitgrößte Nation Äthiopien wählt ein neues Parlament

"Klima der Angst"

In Äthiopien werden kritische Stimmen weggesperrt. Viele hoffen auf einen demokratischen Wandel, doch die Angst begleitet auch die jetzigen Parlamentswahlen.

Autor/in:
Markus Schönherr
Mädchen in Äthiopien / © Manuel Dohmen
Mädchen in Äthiopien / © Manuel Dohmen

Einen einfachen Arbeitsalltag hatte Girma Seifu in den vergangenen fünf Jahren nicht: In Äthiopiens Parlament saß er als einziger Oppositionspolitiker 546 Mitgliedern der regierenden EPRDF-Partei gegenüber. Für die Parlamentswahl am Sonntag strich die Wahlbehörde, die als verlängerter Arm der Regierungspartei gilt, seinen Namen aus dem Register. "Das ist keine Niederlage, sondern ein Erfolg", sagt Seifu. Dies habe erneut gezeigt, dass die Regierung mit einer Mehrparteiendemokratie nichts am Hut habe. Die Opposition des ostafrikanischen Staates gilt als weitgehend unterdrückt. Aktivisten berichten von einem "Klima der Angst", das den anstehenden Urnengang begleite.

Rund 36 Millionen wahlberechtigte Äthiopier sollen ihre Stimme abgeben - zum ersten Mal seit dem Tod von Ministerpräsident Meles Zenawi im August 2012. Eine Reihe von Bloggern und Journalisten wurde verhaftet. Die Opposition klagte über massive Schikanen. 1991 hatte der damalige Rebellenführer den kommunistischen Diktator Mengistu Haile Mariam gestürzt, der wegen seines Terrorregimes als "Schlächter von Addis" in die Geschichte einging. Meles stand anschließend 21 Jahre an der Staatsspitze. Seinem Land, das einst mit Hungerkatastrophen Schlagzeilen machte, verhalf er zu Stabilität und Frieden - ein Bild, das die Regierung in Addis Abeba auch nach seinem Tod pflegt. So ist Äthiopien heute nicht nur Sitz der Afrikanischen Union (AU) und verzeichnete in der letzten Dekade ein stabiles Wirtschaftswachstum von zehn Prozent, sondern schickte jüngst auch Ärzte in die westafrikanischen Ebola-Gebiete.

Hoffnung auf politischen Wandel

Unter der Oberfläche brodelt es jedoch seit langem. In dem Land, in dem rund 60 Prozent der Bevölkerung jünger als 30 sind, hat rund die Hälfte aller Jugendlichen keinen Job. Zwar setzt die Regierung auf Reformen des Arbeitsmarkts, doch vor allem die junge Stadtbevölkerung hofft auf einen politischen Wandel. Ihn versprach die Blue Party, die jüngste Oppositionspartei. Sie registrierte 400 Kandidaten für die Wahl. Auch von diesen Politikern verbannte die staatliche Wahlbehörde jedoch 270 aus nicht näher genannten Gründen aus dem Register. "Dafür gibt es keine gesetzliche oder moralische Grundlage", kritisiert Seifu.

Seit Jahren schränkt das Regime in Addis Abeba mit Hilfe von Antiterrorgesetzen die Rechte der Bürger ein. Im Jahr 2011 wurde der Journalist Eskinder Nega verhaftet, weil er über den arabischen Frühling berichtete. Er zählt neben Oppositionellen und Aktivisten zu den 30.000 bis 40.000 politischen Häftlingen, die laut Amnesty International in Äthiopiens Gefängnissen sitzen. Im April kam es in Addis Abeba zu Massenprotesten. Wütende Bürger gingen auf die Straße, nachdem in Libyen 30 Äthiopier von Kämpfern des Islamischen Staats getötet wurden. Daraus erwuchs ein Marsch gegen das Regime. Zehntausende skandierten regierungskritische Parolen und bewarfen die Polizei mit Steinen. Die Sicherheitskräfte reagierten mit dem Einsatz von Tränengas.

Gewalt nach der Wahl 2005

2005 war es zu den bisher blutigsten Ausschreitungen gekommen, bei denen 200 Demonstranten starben. Damals hatte die Opposition bei den Parlamentswahlen rund ein Drittel der Sitze gewonnen, weigerte sich jedoch, die Mandate anzunehmen, da der Urnengang als manipuliert galt. Die Angst ist groß, dass sich das Blutbad wiederholt. Bereits im Vorfeld drohte die Blue Party mit Boykott. Sie nannte die Wahl eine "Zeremonie", die keinen Wandel bringen könne.

Unterdessen berichtete Human Rights Watch von einem 19-Jährigen, der Werbung für eine registrierte Oppositionspartei machte und daraufhin für drei Tage eingesperrt und gefoltert wurde. "Gehen wir auf die Straße, sperrt man uns weg. Gehen wir zu den Regierungsbüros, um Fragen zu stellen, nennt man uns Terroristen", zitieren die Menschenrechtler einen Äthiopier. Der Sieg gilt dem bisherigen Übergangsministerpräsidenten und EPRDF-Kandidaten Hailemariam Desalegn als sicher. Über die Stabilität im Land entscheidet jedoch nicht der Sieger - sondern die Beurteilung der Wahl durch Opposition und die 59 Wahlbeobachter der AU.


Quelle:
KNA