Patriarch Twal zur Heiligsprechung zweier Palästinenserinnen

"Das ist auch eine nationale Angelegenheit"

In der Heiligsprechung von zwei palästinensischen Ordensfrauen sieht der lateinische Patriarch von Jerusalem, Fouad Twal, ein große Chance für das christliche Leben im Heiligen Land. Das betonte er in einem Interview.

Erzbischof Fouad Twal / © Jan Hendrik Stens (DR)
Erzbischof Fouad Twal / © Jan Hendrik Stens ( DR )

Papst Franziskus will die beiden Ordensfrauen Mariam Baouardy (1846-78) und Maria Alfonsina Danil Ghattas (1843-1927) am 17. Mai zusammen mit der französischen Ordensfrau Jeanne Emilie de Villeneuve (1811-54) in Rom zur Ehre der Altäre erheben. Die Feierlichkeiten böten "eine gute Gelegenheit für einen Dialog des Lebens, des Alltags und der Freundschaft" zwischen palästinensischen Muslimen und Christen, sagte Twal im Interview mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Jerusalem.

KNA: Welche Bedeutung haben die beiden Palästinenserinnen Mariam Baouardy und Maria Alfonsina Danil Ghattas für das Heilige Land?

Twal: Wir sind glücklich und werden Ostern in diesem Jahr in dieser doppelten Freude feiern. Zur Heiligsprechung selbst werden 1.500 Christen aus dem Heiligen Land nach Rom reisen, zusätzlich zu den Freunden aus Europa und der Diaspora. Aber die Heiligsprechung darf nicht ein einmaliges Ereignis bleiben. Sie muss für uns zu einem Lebensprogramm und Aktionsplan für unser christliches Leben werden.

KNA: In welchem Sinne können die beiden Heiligen zum Vorbild werden?

Twal: Die beiden Heiligen stehen für zwei Dimensionen unseres kirchlichen Lebens. Maria Alfonsina steht für ein aktives pastorales Leben. Mit den Rosenkranzschwestern ist sie in allen Pfarreien in allen Ländern der Region vertreten, sogar am Golf haben die Schwestern Schulen mit zwei- bis dreitausend jungen Mädchen. Diese Berufung ist eine wunderbare und große Mission inmitten der Muslime und Christen. Mariam Baouardy steht für ein kontemplatives, spirituelles Leben. Sie hat den Karmel in Bethlehem gegründet, aber auch die anderen Karmel – Haifa, Nazareth und Jerusalem – sind von ihr inspiriert. Unsere Frage muss lauten: Wie können wir ein aktives pastorales Leben führen und auch die spirituelle Dimension beibehalten? Das ist es, was unsere Länder hier so dringend brauchen. Und schließlich hat die Heiligsprechung eine fast schon politische Dimension.

KNA: Warum?

Twal: Wann immer von diesem Land die Rede ist, geht es um Gewalt, um Demonstrationen, um Besatzung, all die Dramen. Ich bin glücklich, der Welt mitzuteilen, dass dieses Land auch gute Nachrichten hat, derer die Welt so bedarf. Das Heilige Land bringt schließlich Heiligkeit hervor. Das Heilige Land ist nicht nur ein Land des Konflikts und des Militärs, sondern es bedeutet auch: eine heilige Gemeinschaft von heiligen Gläubigen und heiligen Klöstern. Mit zahlreichen Dankgottesdiensten wollen wir die Tugenden dieser beiden Heiligen hervorheben.

KNA: Spielt es für die palästinensischen Christen eine Rolle, dass beide Ordensfrauen Palästinenserinnen waren?

Twal: Was mich sehr erfreut hat, war die Reaktion der palästinensischen Regierung, auch der Muslime. Zu meiner großen Überraschung gab es bei unseren Gläubigen weniger Reaktionen. Sie sind zu sehr beschäftigt mit der Politik und den Problemen des Alltags, wie etwa der Frage nach Arbeitsstellen oder Zugang zu den Heiligen Stätten. Die Autoritäten haben sehr klar die politische Dimension gesehen. Präsident Mahmud Abbas wird zur Heiligsprechung nach Rom kommen, auch der muslimische Bürgermeister von Nazareth – Mariam Baouardy stammte ja aus Galiläa – und der Stadtrat wollen mit uns in Rom dieses Fest begehen. Die Heiligsprechung ist selbstverständlich eine katholische Angelegenheit, aber gleichzeitig ist sie eine nationale, palästinensische Sache.

KNA: Sehen Sie darin eine Gelegenheit, dass sich palästinensische Muslime und Christen annähern?

Twal: Es ist eine gute Gelegenheit für einen Dialog des Lebens, des Alltags und der Freundschaft.

KNA: Sie haben von den Alltagsproblemen der hiesigen Christen gesprochen. Worin liegen gegenwärtig die größten Herausforderungen?

Twal: Die Besatzung schadet allen. Die palästinensischen Christen – wie alle Palästinenser – finden keine Arbeit. Das Leben ist teuer, und das zwingt sie zum Betteln. Sie können nicht raus. Die gesamte Situation ist hart, ein normales Leben ist nicht möglich. Auch in Gaza hat sich nichts verändert. Nur spricht heute keiner mehr über Gaza. Die Weltöffentlichkeit konzentriert sich auf den "Islamischen Staat" (IS), auf Syrien und den Irak.

KNA: Wie ist derzeit die Situation in der von dem "IS" dominierten Region?

Twal: Die Menschen fragen sich, wie es sein kann, dass das Regime von Saddam Hussein in einer Woche geschlagen wurde, es den USA, Europa und der westlichen Allianz aber nicht gelingt, in wenigen Tagen mit IS fertig zu werden. Es ist keine Strategie erkennbar, keine Kohärenz. Wie kann es sein, dass der Weltfeind Nummer eins, Baschar al-Assad, auf einmal beinahe zum Alliierten der Internationalen Gemeinschaft wird im Kampf gegen "IS"? Man muss kein Diplomat oder Politiker sein, um zu sehen, dass das nicht funktioniert.

Das Interview führte Andrea Krogmann (KNA)


Quelle:
KNA , DR