Präsident der Caritas Ukraine über Hilfsmaßnahmen

Mäntel, Mahlzeiten, Mietzuschüsse

Die Menschen in den Konfliktgebieten der Ukraine sind traumatisiert. Ihnen fehlt es an Lebensmitteln, an warmer Kleidung und an Medizin. Der Präsident der Caritas Ukraine spricht im domradio-Interview von einer großen humanitären Katastrophe.

Ostukraine (dpa)
Ostukraine / ( dpa )

domradio.de: "Wie geht es der Bevölkerung derzeit in den Krisengebieten der Ukraine?"

Andrij Waskowycz (Präsident der Caritas Ukraine): "Die humanitäre Lage in der Ukraine ist weiterhin prekär, sie verbessert sich nicht unbedingt. Es gibt sogar Anzeichen, dass sie sich verschlechtert. Zum Beispiel nach dem Minsker Waffenstillstandsabkommen vom 15. Februar 2015 gab es eines der schwersten Gefechte in der Stadt Debalzewe, das eine humanitäre Katastrophe in der Stadt ausgelöst hat. Das ist eine Stadt mit 25.000 Einwohnern. Die meisten Einwohner dieser Stadt sind geflohen und in der Stadt gibt es in der Zwischenzeit nach Angaben der Vereinten Nationen 7.000 Einwohner, davon 1.000 Kinder. Es gab Anfragen durch die prorussischen Separatisten an internationale Organisationen, um Plastiksäcke zu bekommen, für die Leichen, die man in Kellergeschossen gefunden hat. Die sind teilweise durch die Bomben umgekommen, teilweise durch die Kälte oder vor Hunger. Sie waren ja von der Grundversorgung abgeschnitten, von Wasser und Nahrungsmitteln. Die Stadt – ich hab Luftaufnahmen gesehen – sieht aus wie deutsche Städte, die im Zweiten Weltkrieg bombardiert wurden. Das Zentrum der Stadt ist zerstört, Häuser sind ohne Dächer, es ist eine Katastrophe."

domradio.de: "Wie kann die Caritas da Hilfe leisten?"

Andrij Waskowycz: "Die Caritas versucht vor allem für die Flüchtlinge Hilfe zu leisten. Das war in diesen Tagen sehr schwierig, weil das Flüchtlingsaufkommen wieder gestiegen ist. Insgesamt haben wir mehr als eine Million Binnenflüchtlinge in der Ukraine, das heißt, über eine Million Menschen haben ihre Häuser verlassen, um ihr Leben zu retten. Die Caritas versucht zu helfen, die Leute durch den Winter zu bringen. Wir konnten den Leuten Mietzuschüsse geben, damit sie sich Unterkünfte besorgen können. Lebensmittelhilfe, warme Kleidung – viele Menschen haben ihre Wohnung verlassen, ohne für die Kälte gerüstet zu sein. Es ist erstaunlich, dass das in der Welt nicht als eine große humanitäre Katastrophe wahrgenommen wird."

domradio.de: "Welche Chancen haben die Menschen, in ihre Heimat zurückzukehren?"

Andrij Waskowycz: "Wir wissen es nicht, weil wir nicht wissen, wie der politische Konflikt sich weiter entwickeln wird. Wenn wir den Umfragen glauben, die unter den Binnenflüchtlingen gemacht werden, so sieht man auch keine große Bereitschaft der Menschen, in ihre Häuser und ihre Heimat zurückzukehren. 75 Prozent der Menschen haben Angst, zurückzukehren."

domradio.de:  "Stehen Sie in diesem Zusammenhang in Verbindung mit dem katholischen Osteuropa-Hilfswerk Renovabis?"

Andrij Waskowycz: "Wir stehen in Verbindung mit vielen Hilfswerken und vielen Partnerorganisationen. Renovabis ist eine der Partnerorganisationen, mit der wir in diesem Bereich zusammenarbeiten.  Aber wir versuchen gerade mit Renovabis ein Projekt aufzubauen für eine Suppenküche in der Stadt Donezk, damit die Bevölkerung dort versorgt ist. Die Stadt ist nicht unter der Kontrolle der ukrainischen Regierung und die Versorgung mit Lebensmitteln dort ist nicht gewährleistet. In der Stadt sind viele alte Menschen zurückgeblieben, die durch eine warme Mahlzeit wie eine Suppe versorgt werden könnten.  Wir arbeiten auch sehr stark mit dem deutschen Caritasverband zusammen und haben ein Projekt, das auch durch das Auswärtige Amt finanziert wird, in dem wir den Menschen Mietzuschüsse geben können, Lebensmittelhilfe und Hilfe für warme Kleidung. Sie können damit Heizungen in ihren Wohnungen einrichten. Und auch psychologische Beratungsstellen werden errichtet. Wir müssen bedenken: Viele dieser Menschen haben ihre Heimat verlassen müssen. Sie sind sehr traumatisiert, vor allem die Kinder. Unter den Binnenflüchtlingen sind etwa 500.000 Kinder, die Zeugen von Gewalt geworden sind. Es ist sehr wichtig, dass die Menschen nicht nur materielle Hilfe bekommen, sondern auch medizinische und psychologische."

domradio.de: "Gibt es innerhalb des Landes auch eine effektive gemeinsame Hilfe auch mit den anderen Kirchen, z.B. mit der orthodoxen oder der römisch-katholischen Kirche?"

Andrij Waskowycz: "Mit der römisch-katholischen Kirche gibt es natürlich eine Zusammenarbeit, wir sind ja auch die katholische Kirche in der Ukraine. Auch mit den anderen Kirchen gibt es bestimmte Punkte der Zusammenarbeit. Allerdings hat zum Beispiel die ukrainische orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats keine sozialen Strukturen, so wie wir sie aus der katholischen Kirche kennen. Die soziale Arbeit in dieser Kirche ist vor allem auf die Klöster konzentriert und die versuchen in diesem Zusammenhang auch zu helfen, wo sie können."

 

Dieses Interview führte Bernd Knopp


Quelle:
DR