Die Situation der Christen in Syrien

Zwischen Gewalt und neuer Offenheit

Die Zahl der Christen, die die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) entführt hat, ist auf 90 gestiegen. Außerdem soll der IS in der Region mehrere Kirchen angezündet haben. domradio.de sprach dazu mit Jens Fischer von der Hilfsorganisation Open Doors.

Autor/in:
Das Interview führte Dr. Christian Schlegel
Marienbild in Homs (KNA)
Marienbild in Homs / ( KNA )

domradio.de: In welcher Situation befinden sich die Christen in Syrien?

Jens Fischer (Open Doors): Aus dem Land sind mittlerweile eine große Zahl von Menschen geflohen. Wir gehen davon aus, dass im Gegensatz zum Jahr 2011 inzwischen nur noch 1,1 Mio. Christen im Land sind. Von denen sind wiederum viele hunderttausend auf der Flucht, nur die wenigsten leben noch in ihren angestammten Häusern. Aber da muss man unterscheiden: Es gibt in Syrien Gebiete, die stärker vom Krieg betroffen sind als andere. In den Gebieten unter der Kontrolle des IS gibt es nach unseren Informationen nur noch wenige Christen, aber wir haben da selbst als Organisation wenig Einblick. Andere Christen sind in Flüchtlingslagern untergekommen, dort geht es natürlich kärglich zu: Man muss sehen, wie man zu Recht kommt, vor Allem bei den Temperaturen zur Zeit. Die Zelte sind zwar zum Teil beheizt, aber die Situation der Betroffenen ist schwierig. Dazu kommen die Erlebnisse der Menschen, die von der Gewalt unmittelbar betroffen waren oder alles verloren haben. Gerade denen geht es natürlich den Umständen entsprechend.   

domradio.de: Unter dem Regime von Assad hatten die Christen immer ein relativ geschütztes Dasein. Gibt es noch Regionen in Syrien, wo sie das noch haben?  
Jens Fischer (Open Doors): Es gibt Bereiche, wo christliche Gemeinden weiterhin funktionieren, wo sonntags Gottesdienste stattfinden und ein mehr oder weniger geregeltes Gemeindeleben möglich ist. Aber dort, wo der Krieg im Moment nicht so tobt, ist die Zahl der Flüchtlinge umso größer und das betrifft die Gemeinden ganz massiv. Dabei ist interessant zu beobachten, dass sich nicht nur die geflohenen Christen an die Kirchen wenden, sondern auch in erstaunlich großer Zahl die Muslime. Das kann man natürlich nicht verallgemeinern, doch es kommen immer wieder Leute, die sagen: Wir sind andernorts abgewiesen worden, jetzt wenden wir uns zu euch, weil wir gehört haben, dass die Christen helfen. Das bedeutet natürlich auch eine besondere Belastung für diejenigen, die sonst noch ein geregeltes Gemeindeleben haben.

domradio.de: Wie ist denn das Zusammenleben von Christen und Muslimen? Ist das angespannt?

Jens Fischer (Open Doors): Man muss da natürlich differenzieren, aber was wir immer wieder hören ist, dass ein großes Interesse besteht, auch an der Motivation der Christen, warum sie helfen. Nach allem, was wir hören, hat es noch nie so eine große Offenheit von weiten Teilen der ja größtenteils muslimischen Bevölkerung gegeben für die Christen, die ja immer eine Minderheit waren und denen man nicht so wohlgesonnen war. Da ändert sich in großen Teilen der Bevölkerung offensichtlich im Moment die Haltung. Auf der anderen Seite ist aber auch klar, dass radikale Muslime Christen sehr gezielt bekämpfen.

domradio.de: Wo finden die Christen, die geflohen sind, denn Zuflucht?

Jens Fischer (Open Doors): Es gibt einige Hauptzielländer, etwa den Libanon, die Türkei, Jordanien, Ägypten, den Irak und die Nachbarländer. Dorthin flüchten viele Christen und dort gibt es Hilfe. Wir sind etwa im Libanon beteiligt und versuchen es dort so einzurichten, dass die Menschen einigermaßen versorgt sind. Gleichwohl gibt es auch in diesen Flüchtlingslagern radikale Kräfte, die Christen und insbesondere die zum Christentum konvertierten Muslimen nachstellen. Das reicht teilweise bis nach Deutschland, auch hier hört man von Flüchtlingslagern, wo man sie bedrängt, anfeindet und teilweise auch gewalttätig gegen sie vorgeht. Insofern sind die Flüchtlingslager neben den ärmlichen äußeren Bedingungen auch keine Horte der Sicherheit.


Quelle:
DR