Erzbischof spricht über den Alltag als Christ in Nigeria

"Wenn sie mich töten, kann ich nichts machen"

Ignatius Kaigama muss jeden Tag damit rechnen, von der Terrorgruppe Boko Haram ermordet zu werden. Der Erzbischof von Jos im Norden Nigerias, spricht im DOMRADIO.DE-Interview über islamistische Gewalt und fordert Hilfe aus der EU.

Ignatius Kaigama, Erzbischof von Jos (KNA)
Ignatius Kaigama, Erzbischof von Jos / ( KNA )

DOMRADIO.DE: Haben die jüngsten Anschläge von Boko Haram in Nigeria Ihrer Meinung nach genug internationale Aufmerksamkeit bekommen?

Ignatius Kaigama (Erzbischof von Jos, Nordnigeria): Nein, leider nicht. Es war Thema in den Nachrichten, BBC, CNN und andere Sender. Diese internationale Aufmerksamkeit haben sie bekommen. Wenn es Anschläge gibt, Morde und Zerstörung, dann wird es in den Nachrichten gebracht. Aber es wird nicht darüber berichtet, dass nur wenig dafür getan wird, um die Anschläge zu stoppen. 

Boko Haram

Die islamistische Gruppierung Jama'atu Ahlis Sunna Lidda'awati wal-Jihad ist besser bekannt als "Boko Haram". Sie entstand 2002 in Maiduguri, der Hauptstadt des Bundesstaates Borno im Norden Nigerias. Übersetzt bedeutet der volle Name etwa "Menschen, die sich der Verbreitung der Worte des Propheten und dem Dschihad verpflichtet fühlen". Ihr lokaler Name Boko Haram stammt aus der Sprache Haussa, der größten Verkehrssprache im Norden Nigerias, und heißt so viel wie "westliche Bildung ist Sünde".

Nigerias Armee kämpft gegen Boko Haram (dpa)
Nigerias Armee kämpft gegen Boko Haram / ( dpa )

Weil Boko Haram jetzt schon für zu lange Zeit Gebäude zerstört, Menschen angreift und tötet. Uns wird gesagt, dass Europa und die USA uns helfen, aber ich frage mich: Ist die Hilfe effektiv? Beseitigt sie das Problem? Und die Antwort lautet: Nein. 

Wenn sie es gewesen wäre, dann hätten wir Boko Haram schon längst unter Kontrolle. Wir müssen uns Strategien überlegen, um diese terroristische Gruppe zu überwältigen.

DOMRADIO.DE: Warum denken Sie, dass die Anschläge auf das französische Satiremagazin "Charlie Hebdo" mehr Aufmerksamkeit bekommen haben?

Kaigama: Als ich die Bilder aus Frankreich gesehen habe, mit den vielen Menschen, die zusammengekommen sind, auch viele Staatspräsidenten, war ich gerührt. Alle standen zusammen, haben für Liebe, Solidarität und Einheit demonstriert.

Ich dachte mir: So soll es sein in der Welt. Wenn es in Europa passiert, dann werden Ängste gezeigt, aber auch Solidarität und Unterstützung. Wenn es in Afrika passiert, dann gibt es darauf keine so enthusiastischen Reaktionen.

DOMRADIO.DE: Ist Afrika für uns einfach zu weit weg?

Ignatius Kaigama

"Es wurden so viele Menschen in Nigeria ermordet. Und niemanden scheint es wirklich zu interessieren." 

Kaigama: Nein, die Welt ist ein globales Dorf. Abuja und Frankfurt sind mit dem Flugzeug nur fünf Stunden voneinander entfernt. Vielleicht ist der Wille zu weit weg oder das Herz. Aber es geht nicht um die Entfernung. Doch wir wollen, dass die Herzen näher kommen. Dass wir eine Einheit werden. Wie das in Frankreich abläuft, finde ich großartig. 

Ich habe unserer Regierung gesagt, dass ich ein bisschen neidisch bin. Weil sie Liebe zeigen. Ich habe gesagt, so was könnten wir doch auch machen. Auch unsere Regierung sollte das Leben jedes einzelnen Nigerianers wertschätzen. Es wurden so viele Menschen in Nigeria ermordet. Und niemanden scheint es wirklich zu interessieren. 

Es wurden Mädchen entführt – und nichts ist passiert. Wenn wir so einen Patriotismus und diese Liebe für unser Land hätten, dann würden wir so reagieren wie die Franzosen. Ich rufe unsere Regierung und die Bevölkerung auf, diese Einstellung zu haben.

DOMRADIO.DE: Wie könnte die internationale Gemeinschaft helfen?

Ignatius Kaigama

"Wir müssen herausfinden, woher Boko Haram ihre Ausrüstung hat."

Kaigama: Indem wir Informationen teilen. Wir müssen herausfinden, woher Boko Haram ihre Ausrüstung hat. Sie haben sich sehr weiterentwickelt. Die Anführer haben mit Messern angefangen, jetzt haben sie hoch entwickelte Waffen. Woher haben sie die? Die können sie ja nicht im Busch selber herstellen. Die kommen von irgendwoher. 

Wenn die internationale Gemeinschaft herausfindet, woher und die Lieferungen stoppen kann, dann würde uns das sehr helfen. Wenn man herausfinden könnte, in welchen Ländern diese Fanatiker trainieren und ausgebildet werden oder woher sie ihr Geld beziehen, dann wäre uns sehr geholfen.

DOMRADIO.DE: Wie sieht denn Ihr Alltag als Christ in Nigeria aus?

Ignatius Kaigama

"Niemand will sterben. Auch ich habe Angst. Aber das sollte uns nicht zu Gefangenen machen."

Kaigama: Wir versuchen, ein normales, christliches Leben zu führen. Wir wollen unseren Glauben nicht durch den Terror beeinflussen lassen. Es ist normal, dass die Menschen hier Angst haben. Niemand will sterben. Auch ich habe Angst. Aber das sollte uns nicht zu Gefangenen machen. 

Ich kann nicht den ganzen Tag im Haus bleiben, weil ich Angst habe, getötet zu werden. Die Christen gehen noch zur Kirche, auch wenn sie Angst im Herzen haben. Wir laufen nicht vor unserem Glauben davon. Das macht unseren Glauben eher noch stärker. 

In Maiduguri, das ist der Hauptsitz von Boko Haram, nehmen die Menschen lange und gefährliche Wege auf sich, um in die Kirche zu gehen. Der Bischof dort sagte mir, er war so erfreut über die volle Kirche. Also die ganzen Bemühungen von Boko Haram, die Christen zu vertreiben, waren nicht erfolgreich. Die Christen sind hier mutiger und entschlossener, ihren Glauben zu leben.

DOMRADIO.DE: Wie gehen Sie denn persönlich mit dieser Angst um?

Ignatius Kaigama

"Nehmt keine Rache, bekämpft das Böse mit dem Guten."

Erzbischof Kaigama: Ich weiß, dass Gott einen Plan für mich hat. Was ich als Bischof mache, ist nicht kriminell. Ich ermutige niemanden, zu töten. Ich bete für den Frieden und für die Menschen. Ich sage den Leuten: Lebt zusammen wie eine Familie, seid freundlich zu Moslems und Menschen, die keine Christen sind. Nehmt keine Rache, bekämpft das Böse mit dem Guten. 

Das ist meine Arbeit. Und wenn ich damit in deren Augen ein Verbrechen begehe, dann kann ich nichts machen. Und wenn mich jemand deswegen tötet, dann denke ich an Jesus. Auch er wurde getötet, obwohl er etwas Gutes getan hat. Er hat kein Verbrechen begangen. 

Also werde auch ich weitermachen, jeden Tag auf’s Neue. Wir können uns nicht einschüchtern lassen. Und Gott, der uns diese Aufgabe gegeben hat, wird uns nicht allein lassen.

Das Interview führte Veronika Seidel Cardoso.

Christen in Nigeria

Der Anteil der Christen in Nigeria wird mit 40, teils mit über 48 Prozent angegeben. Fest steht: Die christliche Gemeinschaft nahm in den vergangenen fünf Jahrzehnten stark zu und ist die größte auf dem afrikanischen Kontinent. Katholiken machen laut vatikanischen Zahlen gut 15 Prozent aus; sie sind in 50 (Erz-)Bistümern und zwei Apostolischen Vikariaten organisiert. Andere starke Gruppen bilden die protestantischen Kirchen und die anglikanische Kirche.

Gottesdienst in Nigeria / © Katrin Gänsler (KNA)
Gottesdienst in Nigeria / © Katrin Gänsler ( KNA )
Quelle:
DR