Misereor warnt vor Zerfall des Südsudans

"Kämpfe zerstören Errungenschaften der letzten Jahre"

Der Konflikt im Südsudan hat schon Tausende das Leben gekostet, mehr als eine Million Menschen sind auf der Flucht. Das katholische Hifswerk Misereor warnt vor einem Zerfall des weltweit jüngsten Staates.

Autor/in:
Sinikka Tarvainen
In einem Flüchtlingscamp (dpa)
In einem Flüchtlingscamp / ( dpa )

Dinka und Nuer sind die größten unter den rund 60 ethnischen Gruppen im Südsudan. Sie machen etwa ein Viertel der 6-Millionen-Bevölkerung im jüngsten Staat der Erde aus. Seit Jahrhunderten rauben sie sich schon gegenseitig das Vieh. Richtig ernst wurde der Hass aber erst im Bürgerkrieg gegen den Norden: Südsudanesische Politiker und die Regierung in der sudanesischen Hauptstadt Khartum wiegelten die Stämme im Kampf um die Macht gegeneinander auf.

Nun kämpfen in dem afrikanischen Krisenstaat Regierungssoldaten von Präsident Salva Kiir gegen Rebellen, die mit seinem früheren Stellvertreter Riek Machar sympathisieren. Der Machtkampf der beiden Politiker war Mitte Dezember blutig eskaliert. Seither kommt es immer wieder zu schwerer, nicht zuletzt ethnisch motivierter Gewalt zwischen den Dinka und Nuer, denen die beiden Politiker angehören. Doch das jüngste Gemetzel an mehr als 200 Zivilisten in der Stadt Bentiu habe das Land "in eine neue Dimension des Horrors" gestürzt, sagt Skye Wheeler von Human Rights Watch.

Wer kontrolliert die Ölfelder?

Der Rebellensprecher Lul Ruai Koang sagt am Telefon: "Der Krieg ist bereits voll ausgebrochen." In den ölreichen nördlichen Bundesstaaten Oberer Nil und Jonglei habe es schwere Geschützfeuer gegeben. Dass sich die Kämpfe in den vergangenen zwei Wochen verschärft haben, bestätigt auch die Regierungsseite. In dem Konflikt geht es vor allem um die Kontrolle der Ölfelder: Das bitterarme Land erzielt ungefähr 90 Prozent seiner Einkünfte mit Ölgeschäften.

Die Weltgemeinschaft zeigte sich schockiert, nachdem Rebellen Mitte April Bentiu erobert und Jagd auf alle Nicht-Nuer in der Region gemacht hatten. Die Zivilisten - Männer, Frauen und Kinder - wurden unter anderem in einem Krankenhaus, in einer Moschee und einer Kirche getötet. Die Friedensmission der Vereinten Nationen im Südsudan (UNMISS) verurteilte die Ermordung aufs Schärfste.

Misereor: Internationale Gemeinschaft muss Druck erhöhen

Das Hilfswerk Misereor warnt angesichts der Kämpfe vor einem Zerfall des weltweit jüngsten Staates. Seit dem Ende des Bürgerkrieges habe das Land, das erst im Juli 2011 vom Sudan unabhängig wurde, einiges erreicht, erklärte die Länderreferentin Cora Laes-Fettback in Aachen. "Doch wenn die Kämpfe weitergehen, werden die Errungenschaften der vergangenen Jahre vernichtet werden."

Laes-Fettback würdigte den Aufbau einer Verwaltung, die Errichtung von Schulen und Krankenhäusern und die verbesserte Wasserversorgung im Südsudan. "Die internationale Gemeinschaft muss den Druck auf die Konfliktparteien verstärken, die seit Wochen in Addis Abeba ergebnislose Gespräche führen", forderte sie. Die Kämpfe müssten aufhören, der Waffenstillstand eingehalten werden.

UN: Rebellen rufen übers Radio zur Vergewaltigung auf

Nach UN-Berichten werden die Rebellen im Radio dazu angestachelt, Frauen anderer Ethnien zu vergewaltigen. "Das ist das erste Mal, dass wir uns bewusst sind, dass das geschieht", sagt Wheeler. In der Tat weckt das Erinnerungen an den Genozid in Ruanda vor 20 Jahren. 1994 hatten dort Hutu-Milizen binnen 100 Tagen mehr als 800.000 Tutsis und moderate Hutus getötet. Das Radio spielte bei der Entfesselung der Gewalt auch damals eine gewichtige Rolle. "Wie könnten wir da nicht besorgt sein über ein weiteres Ruanda?", fragt Wheeler.

Die Rebellen indes streiten ab, in Bentiu Zivilisten getötet zu haben. Die Menschen in der Moschee seien regierungstreue Kämpfer gewesen, sagt Rebellensprecher Koang. Was die Radioübertragung angehe, wisse er nicht, wer da gesprochen habe. Nur wenige Tage nach den Vorfällen in Bentiu stürmten Dinka-Jugendliche ein von Nuer bewohntes UN-Lager in Bor, sie töteten mindestens 60 Menschen.

Derweil sind mehr als eine Million Menschen aus ihren Häusern geflohen, viele suchen Schutz in den Nachbarländern, in Flüchtlingslagern und UN-Camps. Hunderttausende verstecken sich in Wäldern, sagt Christopher Lockyear von der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen. Nach dem Massaker von Bentiu sei die Zahl der Menschen in der lokalen UN-Basis von 6.000 auf 20.000 hochgeschnellt. Falls nicht mehr Hilfe nach Bentiu komme, könne sich die Situation binnen weniger Tage zu einer humanitären Katastrophe ausweiten, warnt er.

Die Regierung und die Rebellen beschuldigen sich gegenseitig, die Waffenruhe zu brechen. Die Vereinbarung, die unter internationalem Druck nach zähen Verhandlungen zustande kam, sei niemals ernst genommen worden, sagt Menschenrechtler Wheeler. Zwar hat Präsident Kiir den Armeechef und den Chef des Geheimdienstes rausgeworfen - wohl um die weltweite Empörung zu beschwichtigen. Beobachter überzeugt das aber nicht. Wenn sie die schrecklichen Auswirkungen für die Zukunft des Südsudan verhindern wolle, müsse die Weltgemeinschaft den Konflikt dringend ernster nehmen, sagt Wheeler.


Abgebranntes Dorf (dpa)
Abgebranntes Dorf / ( dpa )

Präsident Salva Kiir (dpa)
Präsident Salva Kiir / ( dpa )

Riek Machar (dpa)
Riek Machar / ( dpa )
Quelle:
dpa , KNA