Ordensmann zur Lage der Christen in Syrien

"Am gefährlichsten sind die religiösen Spaltungen"

Der seit mehr als zwei Jahren andauernde blutige Konflikt in Syrien ist nach Einschätzung des syrischen Paulistenpaters Walid Iskandafi ein internationaler Konflikt auf syrischem Boden.

Syrien: gespaltene Nation (dpa)
Syrien: gespaltene Nation / ( dpa )

KNA: Pater Iskandafi, wie beurteilen Sie aktuell die Situation in Syrien?

Iskandafi: Die Situation ist sehr, sehr bedrückend. Was wir in Syrien erleben, ist die völlige Destruktion - der Steine und der Menschen. Syrien vor dem Krieg war kein ideales Land, aber wenigstens lebten wir in Frieden und Sicherheit. Wir hatten alles, was wir brauchten. Wir hatten Bewegungsfreiheit und konnten das Land bereisen mit der Gewissheit, anzukommen. Zwischen den verschiedenen Religionsgemeinschaften herrschte Brüderlichkeit und Gastfreundschaft, und bei allen Mängeln fühlten wir Christen uns nicht verfolgt oder diskriminiert. Das alles hat sich verändert!

KNA: Was bedeutet das konkret?

Iskandafi: Die Wirtschaft liegt am Boden, die Inflationsrate explodiert. Die Lebensumstände sind prekär, und der Rest der Welt nimmt von uns keine Notiz. Die schlimmsten Opfer in diesem Krieg sind die Kinder, die vielfach seit zwei Jahren ohne Schuldbildung sind. Sie erleben schreckliche Gräueltaten. Diese Schäden sind irreparabel. Mehr als 3.800 Schulen sind durch den Krieg zerstört worden, öffentliche und private Institutionen wurden zerstört, rund 450 Schulen dienen als Unterkunft für Flüchtlinge. Wir sprechen von Millionen Flüchtlingen, im Land und außerhalb, und von unvorstellbarer Gewalt. Am gefährlichsten an der Situation sind die Spaltungen zwischen den verschiedenen Religions- und Gesellschaftsgruppen.

KNA: Heißt das, Christen werden zum Ziel von Verfolgungen?

Iskandafi: Christen geraten nicht in erster Linie als Christen ins Visier, sondern als syrische Bürger für oder gegen das Assad-Regime. Auch unter den Christen gibt es Assad-Gegner, wenn auch eine Minderheit. Wo die Fundamentalisten die Oberhand über ein Gebiet haben, herrscht Krieg gegen alle, die nicht ihre Überzeugungen teilen - auch gegen Muslime anderer Ausrichtungen. Ihr Kampf richtet sich gegen alles, was «kafir», ungläubig, ist. Der sogenannte arabische Frühling ist nicht der Versuch, Demokratie in der Region zu installieren. Wenn wir nach zwei Jahren der Revolte schlussendlich von Fundamentalisten regiert werden, dann ist das eine leere Revolution.

KNA: Sie beklagen das Desinteresse der Staatengemeinschaft. Wie müsste internationale Hilfe für Syrien aussehen?

Iskandafi: Es handelt sich längst nicht mehr um einen syrischen Krieg: Auf beiden Seiten gibt es weitere Interessenten, es ist längst ein internationaler Konflikt auf syrischem Boden. Der Krieg in Syrien ist ein blutiger Krieg um Gas und Öl - und die westlichen Regierungen sind Gas- und Ölhändler. Vom Westen können wir nichts erwarten.

KNA: Und von den Christen?

Iskandafi: Christen sind keine Sondergruppe, sie sind Teil der jeweiligen Gesellschaft. Ihre Aufgabe ist es, Zeugen der Wahrheit zu sein, auch um den Preis des Märtyrertums, das gehört zum Christsein. Von den Christen im Westen erwarten wir das gleiche wie von den Christen im Orient: Dass sie Zeugen der Wahrheit sind und nicht schweigen angesichts des Bösen. Darüber hinaus ist konkrete finanzielle Hilfe auf dem Terrain wichtig. Und vor Ort in Marmarita versuchen wir, Christen wenn schon nicht in ihren Heimatstädten, so doch wenigstens im Land zu halten.

KNA: Wie gelingt das?

Iskandafi: Unserer Region, das sogenannte «Tal der Christen», ist relativ ruhig, weshalb inzwischen rund 3.000 Familien vor allem aus der Region Homs und Qoussair hier Zuflucht gesucht haben. Wir sprechen von etwa 12.000 bis 15.000 Personen, zusätzlich zu den 30.000 Einwohnern. Wir haben das große Glück, dass wir in diesem Jahr eine Schule eröffnen konnten. Der Großteil der 429 Schülerinnen und Schüler sind christliche Binnenflüchtlinge aller Konfessionen. Durch die Gewährleistung der Schulbildung ihrer Kinder erleichtern wir den Familien den Entschluss, da zu bleiben. Gleichzeitig können die Kinder die Kriegserlebnisse etwas vergessen. Die Schule bietet zudem Arbeitsplätze für 57 Familien, ebenfalls mehrheitlich Binnenflüchtlinge.

KNA: Glauben Sie an eine baldige Lösung des Konflikts?

Iskandafi: Um aus dieser großen Krise zu kommen, brauchen wir viel Bereitschaft zur Vergebung. Wir Christen haben eine wichtige Rolle als Brückenbauer und wir bauen auf Menschen guten Willens. Wir hoffen weiter auf Frieden in Syrien. Wenn wir diese Hoffnung aufgeben, was bleibt von unserem Glauben dann noch übrig?

Das Gespräch führte Andrea Krogmann.

Der melkitische griechisch-katholische Geistliche ist Leiter der Paulisten-Mission im westsyrischen Marmarita. Mit einer neu eröffneten Schule für mehr als 400 Schüler versucht die melkitische Ordensgemeinschaft, die Abwanderung und Flucht syrischer Christen aus dem Bürgerkriegsland zu stoppen. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) hat Iskandafi bei einem Besuch im Mutterhaus seiner Gemeinschaft im libanesischen Harissa getroffen.


Quelle:
KNA