Indiens Kirche setzt Zeichen gegen Frauenfeindlichkeit

Millionen Lichter für Frauen

Diyas sind kleine tönerne Öllampen. Zu Tausenden erleuchten sie in Indien religiöse Zeremonien und Feste. Indiens Bischöfe haben die Lichter nun zum Symbol für eine Kampagne seines Erzbistums Bombay gegen Gewalt an Frauen gemacht.

Autor/in:
Michael Lenz
 (DR)

Triumph des Guten über das Böse stehen. Laut einer Volkszählung aus dem Jahr 2011 leben in Indien 37 Millionen mehr Männer als Frauen. Der Männerüberschuss gilt als eine der Ursachen für die zunehmende sexuelle Gewalt gegen Frauen. Die 37 Millionen Diyas sollen jedoch nicht nur als Mahnung gegen diese Gewalt brennen. Laut dem Vorsitzenden der Indischen Bischofskonferenz, Kardinal Oswald Gracias, sollen sie auch auf "Indiens Schande" aufmerksam machen: "Den Genozid an Frauen durch die Abtreibung weiblicher Föten, die Tötung neugeborener Mädchen, die Witwenverbrennung, die Mitgiftmorde, die Unterernährung."

Laut einer im Sommer 2012 von der Stiftung des Medienkonzern Thomson Reuters veröffentlichten Studie ist Indien das frauenfeindlichste Land unter den große Wirtschaftsnationen, schlimmer noch als Saudi-Arabien. Auslöser der aktuellen Debatte über die Situation von Frauen in Indien ist freilich die brutale Vergewaltigung und der Tod einer 23-jährigen Studentin im vergangenen Dezember.

Vor allem der arme, ländliche und unterentwickelte Norden Indiens gilt als frauenfeindlich. "Es ist offensichtlich, dass eine männerzentrierte, semifeudale und semiländliche soziale Struktur nicht im Einklang steht mit der modernen Forderung der Gleichheit von Sohn und Tochter", schreibt der Generalsekretär des ökumenischen All India Christian Council, John Dayal, in einem jüngst veröffentlichten Kommentar. Darin beklagt er das Schweigen der Kirchen in der Debatte über geschlechterbezogene Gewalt. Einzelne katholische Bischöfe, so Dayal, hätten das Thema in ihren Weihnachts- und Neujahrspredigten angesprochen. Aber eine offizielle Stellungnahme der Bischofskonferenz sei bislang ausgeblieben.

Nicht nur die katholische Kirche habe das Thema bislang ignoriert, sagt Jyotsna Chatterji. "Meine Kirche hat die gleichen Probleme." Die 75-jährige protestantische Christin ist Vorsitzende der Frauenrechtsorganisation Joint Women's Programme und Mitglied der Kirche von Nordindien. Im Februar wird sie als Hauptrednerin an einer Anhörung von Caritas Indien zum Thema Gewalt gegen Frauen teilnehmen. Was sie zu sagen hat, könnte den Caritas-Verantwortlichen missfallen. Das Christentum verstärke so, wie es praktiziert werde, die männlich-hierarchischen Züge der indischen Kultur, die von Korruption, Traditionen, wirtschaftlicher Ausbeutung und der Missachtung existierender Frauengesetze geprägt sei. "Die Caritas muss, wenn sie die Mission von Christus richtig versteht, für die Gleichberechtigung von Frauen einstehen", fordert Chatterji.

Geringe Erwartungen

Ähnlich bewertet die katholische Theologin Virginia Saldanha die Lage. Von den neuen Schnellgerichten für Vergewaltiger hält sie nichts. "Das ist nur eine kosmetische Maßnahme." Wenn Indien ein besserer Ort für Frauen werden solle, müsse man das Übel an den Wurzeln packen und die gesellschaftlichen Einstellungen verändern.

"Jungs wachsen doch mit der Erfahrung auf, dass Frauen Freiwild sind", kritisiert die Koordinatorin des Theologinnennetzwerks "Ecclesia of Women in Asia". Die Forderung der 65-jährigen Frauenrechtlerin lautet: Die Jugendlichen schon an den Schulen für das Thema Geschlechtergerechtigkeit sensibilisieren.

Große Hoffnung auf konkrete Maßnahmen seitens der Regierung hat Saldanha jedoch nicht. "Im nächsten Jahr sind Wahlen. Da werden die Politiker keine Reformen wagen, die die bestehenden Machtstrukturen antasten." Auch von der Kirche sei nicht viel zu erwarten. Als kritische Frauenrechtlerin werde sie von der Vorbereitung des "Diya-Tags" ferngehalten. Dennoch: "Die Demonstrationen der letzten Wochen gegen Gewalt an Frauen wurde von der jungen, gut ausgebildeten Generation getragen." Für die Mutter von drei erwachsenen Kindern ist das ein Lichtblick.


Quelle:
KNA