Renovabis: Mit russisch-polnischer Kirchenerklärung beginnt Aufarbeitung erst

"Langer und schmerzlicher Prozess"

Die Versöhnungserklärung der russisch-orthodoxen und katholischen Kirche in Polen ist für Renovabis erst der Anfang des Dialogs. Martin Lenz von dem Hilfswerk erwartet im Interview mit domradio.de eine "historisch-kritische Aufarbeitung" der gemeinsamen, zum Teil schwierigen Geschichte.

 (DR)

domradio.de: Wie bedeutsam ist denn nun der Besuch in Polen?

Lenz: Man darf den Besuch in seiner Bedeutsamkeit nicht unterschätzen: Es ist der erste Besuch eines orthodoxen Oberhauptes nach dem Fall des Kommunismus in Polen. Und es ist der erste offizielle große Besuch auch eines orthodoxen Oberhauptes in einem so stark mehrheitlich katholischem Land.



domradio.de: Die Reise steht unter dem Zeichen der Versöhnung der Kirchen - warum sind sie so sehr zerstritten?

Lenz: Wir haben es mit zwei Mehrheitskirchen zu tun. Und die lange und wechselseitige Geschichte zwischen Polen und Russland hat sich auch massiv negativ auf die Beziehungen der Kirchen niedergeschlagen.



domradio.de: Warum kommt jetzt die Aussöhnungserklärung?

Lenz: Das hängt ganz stark mit den handelnden Personen zusammen: Da ist Kyrill I., der als aufgeschlossen und am Dialog mit der katholischen Kirche gilt. Und im polnischen Episkopat ist Henryk Muszynski, der ehemalige Primas von Polen, der schon für die Aussöhnung zwischen der katholischen Kirche und der jüdischen Bevölkerung in Polen stand, nun auch Vorsitzender der Dialoggruppe mit der orthodoxen Kirche. Das ist eine ganz günstige personelle Konstellation, die diesen historisch bedeutsamen Schritt ermöglicht.



domradio.de: Was steht in dieser Aussöhnungserklärung, von der Kyrill I. sagt, er erwarte sie mit Optimismus und Freude?

Lenz: Man vermeidet es, auf die schmerzhaften Teile der gemeinsamen Geschichte zu verweisen. So wäre man auch nicht auf einen Konsens gekommen. Stattdessen hat man sich stark von der polnisch-deutschen Versöhnungserklärung inspirieren lassen.



domradio.de: Brisante Themen werden vermieden - heißt das nicht auch, dass die Erklärung zu früh kommt?

Lenz: Nein, der Zeitpunkt ist richtig gewählt. Im Nachgang kann man sich jetzt in einer historisch-kritischen Weise mit den verschiedenen Feldern beschäftigen. Wenn sich so große "Player" zu einer solchen Versöhnungserklärung entscheiden, ist das ein Startpunkt.



domradio.de: Kyrill I. sagte bei der Ankunft, er sei überzeugt, dass sich auf der gemeinsamen Grundlage des Evangeliums alle Missverständnisse zwischen beiden Ländern ausräumen ließen. Wie groß ist denn die Chance darauf?

Lenz: Es geht um Missverständnisse, aber auch eine historisch-kritische Aufarbeitung. Beides ist mühsam, aber möglich. Sowohl in Polen als auch in Russland gibt es eine Reihe hervorragender Historiker und Politiker, die wirklich an einer im Dialog stattfindenden Aufarbeitung der gemeinsamen Geschichte interessiert sind. Es gibt eine Chance - man darf aber nicht erwarten, dass das Ganze in den nächsten Wochen geschieht. Das ist ein langer und zum Teil auch sicherlich schmerzlicher Prozess.



Zur Person: Martin Lenz ist Leiter Abteilung Projektarbeit und Länder, Weißrussland bei Renovabis, der Solidaritätsaktion der deutschen Katholiken mit den Menschen in Mittel- und Osteuropa.



Das Gespräch führte Matthias Friebe.