Kurienkardinal Walter Kasper zur Ökumene und der Zukunft Europas

"Wir sind in Westeuropa etwas faul geworden"

Unter dem Leitwort "Einheit suchen - Vielfalt wahren. Ost und West im ökumenischen Gespräch" veranstaltet das katholische Osteuropa-Hilfswerk Renovabis in Freising seinen 13. Internationalen Kongress. Im domradio-Interview spricht Kurienkardinal Walter Kasper, der Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen, über Dinge, die der Westen von den Ostkirchen lernen kann und die Wiederentdeckung des Glaubens als Voraussetzung für die Zukunft Europas.

 (DR)

domradio: Warum ist gerade der Dialog mit den Kirchen der östlichen Tradition, also mit der Orthodoxen Kirche des Ostens wichtig?
Kardinal Kasper: Die Kirchen des Ostens und des Westens waren tausend Jahre lang in voller Kirchengemeinschaft, haben also eine lange gemeinsame Geschichte. Die Kirchen des Ostens haben die Kultur des Ostens sehr geprägt, und wenn die Einheit Europas nicht nur eine wirtschaftliche, militärische oder politische sein soll, sondern die Herzen der Menschen wirklich erreichen soll, dann geht es nur, wenn die Kirchen mit im Boot sind.

Wir haben in dieser Hinsicht in den letzten 40 Jahren Entscheidendes geleistet. Man sieht es gerade hier auf dem Renovabis-Kongress, wie viel Freundschaft da gewachsen ist. Solche Freundschaft ist immer das Wichtigste in Beziehungen.

domradio: Nun könnte man in der heutigen Zeit doch sagen, dass es wichtigere Dinge als die Ökumene, also den Dialog mit anderen Religionen, gibt. Sie sagen aber, Ökumene sei kein Luxus. Warum nicht?
Kardinal Kasper: Weil es zum Wesen des Christentums gehört. Jesus hat am Vorabend seines Leidens um die Einheit gebetet. Insofern ist Ökumene etwas Wesentliches für alle Kirchen, insbesondere hier in Europa. Hier ist doch das Christentum erst entstanden und geformt worden, das sind unsere Wurzeln und unsere gemeinsamen Werte. Wenn wir die nicht wieder zum Leben und zum Leuchen bringen, dann können wir den Rest von Europa vergessen.

domradio: Ist denn damit die Ökumene eine Grundbedingung für die Zukunft Europas?
Kardinal Kasper: Davon bin ich überzeugt. Denn die Trennung Europas hat auch Wurzeln in der kirchlichen Trennung und umgekehrt: Wenn wir nicht das, was gemeinsam gewachsen ist in tausend Jahren, wieder zum Leuchten bringen, dann hängt alles andere letztlich in der Luft.

Wir müssen diese gemeinsame kulturelle Tradition wiederbringen. Jeder, der sich in Osteuropa etwas umgeschaut hat, der merkt, wir können sehr viel von den Völkern dort lernen und viel gewinnen, was wir im Westen verloren haben. Und wir im Westen haben die Aufgabe, denen wieder auf die Beine zu helfen nach dieser schrecklichen Zeit des Kommunismus.

domradio: Was kann der Westen lernen?
Kardinal Kasper: Wir können vor allen Dingen wieder mehr Erfurcht vor dem Heiligen und dem Religiösen lernen. Jeder, der an ostkirchlicher Liturgie einmal teilgenommen hat, der spürt das ja. Und die Ikonen sind ja neuerdings nicht umsonst  so beliebt bei uns im Westen, weil sie etwas ausstrahlen von dieser anderen Dimension des Religiösen, des Göttlichen, des Heiligen, das wir weitgehend verloren haben. Das ist ein Punkt. Und wir können lernen, wieder mehr Respekt vor unserer eigenen Tradition zu haben. Wir im Westen meinen ja, wir könnten immer wieder ganz neu bei Null anfangen, den alten Plunder abstreifen. Doch wenn man das tut und nicht mehr weiß woher man kommt, weiß man auch nicht, wohin man gehen soll und wer man ist.

Es beeindruckt mich immer wieder, wie diese Leute an ihrer eigenen Tradition hängen. Ich denke, auch wir müssen das wieder für uns entdecken und lernen.

domradio: Wo machen sie sich Sorgen um Europa, gerade wenn man den Blick auf die religiösen Wurzeln richtet?
Kardinal Kasper: Die Gründerväter Europas nach dem zweiten Weltkrieg, mir ist das noch sehr lebendig in Erinnerung, das war meine Gymnasialzeit, die wollten die Werte Europas nach der schrecklichen Katastrophe des Weltkrieges wieder zur Geltung bringen. Nun, mit der Wiedervereinigung Deutschlands, dem Wegfall des Stacheldrahts und der Mauer, sind wir in Europa etwas faul geworden, sind auf Konsum ausgerichtet. Konsum ist nicht schlecht, aber er kann das Herz des Menschen nicht ausfüllen und da ist Europa etwas oberflächlich geworden.

Wir müssen die Wurzeln dessen, was dem Leben Freude und Inhalt gibt, wieder entdecken und das geht nicht ohne Religion. Wenn ich nach Asien komme, schütteln die Leute den Kopf über Westeuropa und sagen, das könne nicht gut gehen, eine Kultur ohne Gott. Wenn man die Kulturgeschichte der Menschheit studiert, dann hat es das nie gegeben, eine Kultur ohne Religion. Das ist eine Gefahr für Europa. Die Muslime verachten uns ja, weil wir die Religion aufgeben und die Gefahr ist nicht der Islam, sondern die Schwäche des Christentums im Westen.

domradio: Sie sind zum internationalen Kongress des Osteuropahilfswerks Renovabis aus Rom angereist. Dort geht es genau um den Dialog von Ost und West. Wie bewerten sie die Gemeinsamkeiten der Kirchen in Ost und West?
Kardinal Kasper: Wir haben in diesen Jahrzehnten und seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil schon sehr viel erreicht. Es war ja vor 50 Jahren völlig unvorstellbar, dass sich praktisch regelmäßig Papst und Patriarchen begegnen, einander schreiben, dass sich Christen hüben und drüben begegnen und dass da viele Freundschaften entstanden sind. Das sind noch Pflänzchen, die noch wachsen müssen, aber die können auch wachsen.

Solche Begegnungen machen ja auch Freude, man entdeckt sich sozusagen wieder neu. Da ist sehr viel geschehen, es gibt Stipendienwerke, es werden Bücher übersetzt und wir kommen zu einem Austausch. Ich denke, wir sind auf einem guten Weg.