Wie Weihnachten doch harmonisch wird

Eine Sekunde kosmischen Glücks

Harmonie, Frieden und Stille sind die drei Grazien des Weihnachtsfestes. Doch sie kommen nicht von allein, man muss sie herstellen. Neben den Geschenken, dem Essen und die Zeit mit der Familie geht es um das Geschehen jener fernen Nacht.

Autor/in:
Andreas Öhler
 (DR)

"In den Herzen wird es warm, durch die Weihnachtsgans im Darm" sangen einst die Blödelbarden der Gruppe "Insterburg und Co". Wohlige Verdauung oder innere Erbauung - worum geht es wirklich am idyllischsten kirchlichen Festtage? In der heimeligen Atmosphäre, in der die Familie am liebsten unter sich bleiben möchte, ist der Klang der Weihnachtsgeschichte, in der eine flüchtende Kleinfamilie Unterschlupf in einem Stall findet, ein fernes Hintergrundrauschen.

Die Krippe mit dem Jesuskind, um das sich Maria und Josef, Ochs und Esel sowie, später dann, die Heiligen Drei Könige gruppieren, war einst ganz selbstverständlich das Zentrum dieses Abends. Ist sie es noch?

Ende der Katastrophe

Das Geschehen jener fernen Nacht - es ist kosmisch. Davon zeugt der Stern von Bethlehem, der über allem erstrahlt. Die zweite Lichtquelle ist der Erlöser selbst. Das Christkind bietet den Gläubigen nicht nur eine Auszeit vom Weltenchaos, sondern das Ende der Katastrophe. Doch die Botschaft, dass uns ein Retter geboren wurde, gerät zwischen Lametta und Rauschgoldengel oftmals in Vergessenheit.

Eher schon haben wir da wohl die drei Magier aus dem Morgenland im Blick, die Geschenke bringen. Das Geschenk, das unter dem Weihnachtsbaum liegt, legen wir uns schön zurecht: Die Schenkung, die uns Gott mit seinem Sohn gemacht hat, wollen wir an unsere Liebsten weiterreichen. So war es einst gedacht. Denken wir heute noch daran?

Die Zeiten als Apfel, Nuss und Mandelkern genügten, um die Kinder zu beglücken, sind vorbei. Der Gang zur Christmette ist allenfalls noch eine Rahmenhandlung im Weihnachtsgeschehen. Früher bildete sie das Zentrum. Die Familien traten aus ihren Häusern, um gemeinsam die Ankunft des Herrn zu besingen. Das Bewusstsein, dass Weihnachten mehr ist als der Gesamtertrag der Geschenke, scheint sich in unserer materiell gesättigten Gesellschaft allmählich wieder zu verfestigen.

Vielleicht weil sich inzwischen jeder, der es sich leisten kann - von den Kindern einmal abgesehen - ohnehin alles selbst kauft, wenn ihm gerade danach ist.

Intervall der Beschaulichkeit

Kamen in der Babyboomer-Generation die Weihnachtslieder vom Plattenspieler, gilt es heute eher als Stilbruch, "Süßer die Glocken nie klingen" vom Smartphone abzuspielen. Es gibt eine Renaissance der Blockflöten, es erklingen wieder die kratzenden Geigentöne und der schiefe Gesang des Onkels, der es an Inbrunst aber nicht fehlen lässt.

So dissonant so ein familiäres Katzenorchester auch klingen mag, ist es doch der Versuch, Harmonie und Gemeinschaft zu erzeugen, wenigstens an Heiligabend. So lässt sich - da wiederholt sich das Bild - wenigstens ein Intervall der Beschaulichkeit inmitten familiärer Verwerfungen auskosten. Die Harmonie, die im Bild des Stalls von Bethlehem erzeugt wird, muss heute immer neu ausverhandelt werden. Ebenso ist es mit dem Frieden. Er stellt sich nicht von selbst ein, sondern muss hergestellt werden.

An Weihnachten wird erwartet, dass anwesende Verwandte ihre Konflikte ruhen lassen. Und es zählt zu den berührenden Momenten in der Geschichte, dass in den Schützengräben des Ersten Weltkrieges an diesen Tagen die Waffen schwiegen und stattdessen Weihnachtslieder über die Stacheldrahtverhaue hinweg erklangen.

Momente der Wehmut - und Demut

Glaube, Liebe, Hoffnung ist das Credo, das der Apostel Paulus den Christen vermittelt hat. Harmonie, Frieden und Stille sind die drei Grazien des Weihnachtsfestes. Letztere scheinen oft im Weihnachtstrubel unterzugehen. Doch wenn sich in der Vorweihnachtszeit Tausende in Fußballstadien zu einem riesigen Adventssingen versammeln und aus voller Kehle "Stille Nacht, heilige Nacht" gröhlen, hat das auf seine Art auch etwas Besinnliches.

Weihnachten sind nicht zuletzt die Tage, an denen wir uns unserer Toten erinnern, an denen ihr Fehlen besonders schmerzlich auffällt.

Uns wird womöglich gewahr, dass die betagten Eltern im nächsten Jahr möglicherweise nicht mehr dabei sein werden. Da blitzen dann Momente der Wehmut auf. Vielleicht aber auch der Demut - darüber, dass es uns vergönnt ist, mit ihnen eine kosmische Sekunde des Glücks zu erfahren.


Quelle:
KNA