Expertin aus der Holzindustrie über den Weihnachtsbaum 2016

"Der Trend geht zum Zweitbaum"

Über 29 Millionen Weihnachtsbäume standen im vergangenen Jahr in deutschen Straßen und Stuben. Und in diesem Winter dürfte die Zahl nochmals wachsen. Das liegt auch an der verqueren Weltlage. Der Trend geht jedenfalls zum Zweitbaum.

Kerze am Weihnachtsbaum / © Bernd Weißbrod (dpa)
Kerze am Weihnachtsbaum / © Bernd Weißbrod ( dpa )

KNA: Wie viel bedeutet den Deutschen der Weihnachtsbaum?

Ursula Geismann (Sprecherin des Hauptverbands der Deutschen Holzindustrie): Er ist ihnen immens wichtig. Bei einer Umfrage der Messe Frankfurt sagten 97 Prozent, der Christbaum gehöre für sie einfach zum Weihnachtsfest dazu.

KNA: Warum?

Geismann: Da geht es um Tradition, um schöne Kindheitserinnerungen und heutige Erfahrungen in der Familie mit Tannenduft, Kerzenschein und Christbaumschmuck. Weihnachten ist sowieso ein schönes Fest mit seinen ganzen Ritualen. In vielen Familien ist das Schmücken schon fast eine Zeremonie. Das sind sicher Klischees, die viele Menschen aber mit positiven Gefühlen verbinden. Der Baum gehört zum Fest wie ein gutes Essen und hoffentlich eine gute, friedliche Stimmung.

KNA: Wie äußert sich das in Zahlen?

Geismann: Die Absatzzahlen für Weihnachtsbäume steigen in Deutschland seit Jahren. Im vergangenen Jahr wurden 29,3 Millionen Stück verkauft, wieder ein Rekord. Das sind Bäume der privaten Haushalte, aber auch für den öffentlichen Bereich wie Einwohnermeldeämter oder Rathäuser. Nach unserer Wahrnehmung wird in diesem Jahr überall mehr geschmückt, auf privaten Balkonen genauso wie in Fußgängerzonen. Außerdem haben immer mehr Städte Weihnachtsmärkte, längst nicht mehr nur in Süddeutschland wie früher einmal. Alle lieben den Weihnachtsmarkt mit seiner gefühlvollen Atmosphäre, der guten Stimmung von Vorfreude auf das Fest.

KNA: Mit welchen Absatzquoten rechnen Sie für dieses Jahr?

Geismann: Das Geschäft für die privaten Haushalte läuft sehr gut an. Aktuelle Zahlen haben wir erst um den 21. Dezember. Aber die Nachfrage ist bereits ziemlich groß. Viele Verkäufer haben sogar den Eindruck, dass die Menschen gar nicht abwarten können, bis Weihnachten endlich da ist.

KNA: Woran könnte das liegen?

Geismann: Vielleicht haben die Menschen gerade in diesen unruhigen Zeiten Sehnsucht nach Frieden, Besinnung und den Rückzug ins private Idyll. Ein weiterer Beleg dafür: Der Verband der Deutschen Möbelindustrie beobachtet im Moment den Trend zu Retromöbeln, vom Nierentisch bis zu filigranen Mid-Century-Möbeln, die alle erinnern an 1940 bis 1960. Weihnachten passt natürlich insofern dazu, als die Leute sich zu Hause einkuscheln, die Tür zumachen und die Sorgen des Alltags vergessen. Sie wollen nichts mehr hören von politisch irritierenden Themen wie US-Wahl oder Brexit. Sie sehnen sich nach der harmonischen Stimmung mit der Tradition des Weihnachtsfests im privaten Cocooning. Daher glauben wir, dass das Weihnachtsbaumgeschäft in diesem Jahr noch mal zulegt.

KNA: Gibt es dafür noch weitere Gründe?

Geismann: Es ist auch demografisch bedingt, denn wir haben durch die steigende Zahl von Singles auch immer mehr Haushalte. Und die folgen der Tradition und legen sich selbst in ihrer kleinen Wohnung einen Weihnachtsbaum zu. Außerdem geht der Trend zum Zweitbaum. Das hat übrigens auch mit der LED-Lichttechnologie zu tun. Die Lichter sind so preiswert und energiesparend, dass es noch mehr Spaß macht, zum Beispiel auf Balkon oder Terrasse einen Baum zu schmücken.

KNA: Welche Rolle spielt das Thema Umweltschutz beim Baumkauf?

Geismann: Hier erleben wir zum einen die steigende Nachfrage nach nicht gespritzten Bäumen aus dem naturbelassenen Wald. Die sind oft etwas krumm, entsprechen also nicht immer dem Schönheitsideal für Christbäume. Um diese Bäume wurde früher ein großer Bogen gemacht. Heute gibt es dafür eine Zielgruppe, die sagt, der Baum ist in der Natur so gewachsen, genau den will ich. Der zweite Trend sind die eingetopften Bäume, die dann im Frühling in den Garten eingepflanzt werden können.

KNA: Müssen für die Aufzucht von Christbäumen Waldflächen dran glauben?

Geismann: Nein, die meisten kommen aus Plantagen. Also wir holzen dadurch nicht den Wald ab, sondern das sind für diesen Zweck gezüchtete Bäume. Nur fünf Prozent stammen wirklich aus dem Wald.

KNA: Wie geht es heute der berühmten Plastiktanne?

Geismann: Nach unserer Wahrnehmung fristet sie ein Nischendasein für eine sehr kleine Zielgruppe. Zwar kann man sie jahrelang wiederverwenden, aber sie ist teuer in der Anschaffung und duftet nicht. Man stellt sich im Grunde ein Stück Sondermüll ins Wohnzimmer. Früher galt der Kunststoff-Christbaum vielleicht als cooles Statement für Weihnachtsmuffel, "den hängen wir dann andersrum an die Decke". Aber irgendwie scheint die Plastiktanne nicht mehr so in zu sein. Selbst im Internet nehmen die Angebote nicht zu.

Das Interview führte Sabine Kleyboldt.


Quelle:
KNA