Religionssoziologe: Menschen schätzen an Weihnachtsgottesdiensten die Tradition

Ein Gefühl von Geborgenheit und Heimat

Die Weihnachtsgottesdienste werden von vielen Menschen besucht, die sonst nicht so häufig in die Kirche gehen. Religiöse Sehnsüchte spielen dabei weniger eine Rolle, sagt der Religionssoziologe Pollack. Vielmehr sei es die Suche nach Zugehörigkeit.

Christmette 2014 im Petersdom / © Romano Siciliani (KNA)
Christmette 2014 im Petersdom / © Romano Siciliani ( KNA )

domradio.de: Was hat eine Christmette oder ein Weihnachtsgottesdienst, was andere Messen nicht haben?

Prof. Dr. Detlef Pollack (Religionssoziologe): Die Menschen selber sagen, dass die festliche Stimmung das Wesentliche sei. Dass man eine geschmückte Kirche vorfindet, dass man mit seiner Familie dorthin geht, dass man Lieder singen kann, die man kennt. Das hat sehr viel mit Gewohnheit und Tradition zu tun.

domradio.de: Da steckt also auch ein bisschen Nostalgie dahinter - oder vielleicht auch ein Heimatgefühl?

Pollack: Ja, ganz genau. Man ist als Kind in die Kirche gegangen, oder auch über Jahre hinweg. Immer wieder mit lieben und vertrauten Menschen. Das gibt ein Gefühl von Geborgenheit, von Heimat, von Zugehörigkeit. Diese Gemeinschaft im Gottesdienst zu erfahren, ist für die Menschen auch sehr wichtig.

domradio.de: Gibt es da Zahlen, in denen sich das ausdrückt? Wissen wir, wieviele Christen zu Weihnachten in die Kirche gehen?

Pollack: Da kann man bei der evangelischen Kirche genaue Aussagen machen. Für die katholische Kirche liegen uns leider keine Zahlen vor. Insgesamt ist die katholische Kirche nicht so gut erforscht wie die evangelische. Von den evangelischen Kirchenmitgliedern gehen in ganz Deutschland ungefähr neun Millionen in die Christmetten und Weihnachtsgottesdienste. Das sind im Westen Deutschlands ungefähr 30 Prozent der Protestanten und im Osten mehr als das Doppelte: 60 bis 70 Prozent.

domradio.de: Ist das auch eine Suche nach Spiritualität oder eine religiöse Sehnsucht?

Pollack: Ich glaube, dahinter steckt vor allem, dass man in den Weihnachtsgottesdiensten viele Funktionen erfüllt sieht. Die festliche Stimmung und die Gemeinschaft zu Beispiel. Darüber hinaus ist es einer Mehrheit der Christen wichtig, dass die Predigten ansprechend sind. Dass man über das Leben nachdenken kann, über die Zukunft und über die Vergangenheit. Dass man dort Lieder singen kann, dass die Orgel ertönt. Religiöse Sehnsüchte sind dann nicht primär das Motiv, sondern es ist mehr ein Gefühl des Aufgehobenseins und der Kontinuität und der Tradierung, das eine Rolle spielt. Religiöse Sehnsüchte kommen da gewissermaßen auch mit ins Spiel, aber nicht vorrangig.

domradio.de: Würden Sie sagen, dass das eine besondere Chance ist, wenn die Kirchenbänke zu Weihnachten gut gefüllt sind, dass die Menschen auch im Rest des Jahres wieder in die Gottesdienste gehen?

Pollack: Das würde ich nicht unbedingt annehmen. Ganz entscheidend ist aber, ob die Weihnachtsgottesdienste gelingen. Ob man das Gefühl hat, dass da eine schöne Atmosphäre ist, man gerne hingeht und bereichert wieder hinausgeht. Wenn das nicht gelingt, ist das ein Grund, nicht wiederzukommen. Viele Menschen sagen, ich bin Mitglied der Kirche, bezahle Kirchensteuer, die Kirche sollte an bestimmten Stellen für mich da sein. Weihnachten ist so eine Gelegenheit, aber auch, wenn es um die Taufe von Kindern geht oder um Konfirmation oder um die Trauung. Und vor allem natürlich, wenn die lieben Angehörigen sterben, sollte die Kirche vor Ort sein. Dann muss sie eine begleitende Funktion erfüllen. Das trifft aber auch auf Weihnachten zu. 

Das Interview führte Verena Tröster.


Quelle:
DR