Der Volkskundler Alois Döring über Weihnachtsbräuche

"Da hing ein U-Boot am Weihnachtsbaum"

Weihnachtsbräuche folgen dem Zeitgeist: Hing zu Kriegszeiten schon mal ein U-Boot am Weihnachtsbaum, bevorzugen fortschrittliche Deutsche heute Besinnliches für unterwegs. Der Volkskundler Alois Döring über skurrile Weihnachtsbräuche.

Weihnachtsdekoration / © Jörg Loeffke (KNA)
Weihnachtsdekoration / © Jörg Loeffke ( KNA )

KNA: Herr Döring, was ist Ihr liebster Weihnachtsbrauch?

Döring: Der ist leider etwas in Vergessenheit geraten. Das ist das so genannte Strohhalmlegen. Wenn ich als Kind an einem Adventstag brav gewesen war, durfte ich einen Strohhalm in unsere Krippe legen. Dieser Brauch war bis in die 1960er Jahre in katholischen Gegenden verbreitet. Er hat wie so viele Adventsbräuche einen pädagogischen Hintergrund. Allerdings gab es auch eine dunkle Seite: Manchmal mussten Kinder, die nicht brav gewesen waren, einen Strohhalm aus der Krippe nehmen und durch einen Stein ersetzen. 

KNA: Sind die meisten Weihnachtsbräuche katholischen Ursprungs?

Döring: Nein. Tatsächlich kommen viele Advents- bzw. Weihnachtsbräuche aus dem Protestantismus. Den Adventskranz zum Beispiel hat der Gründer der Inneren Mission der Evangelischen Kirche, Johann Hinrich Wichern, erfunden. Wichern leitete im 19. Jahrhundert ein Jungenheim in Hamburg-Horn. Damals versammelte er alle Jungen um einen Adventsleuchter. Der hatte damals noch 24 Kerzen - für jeden Dezembertag eine. 

KNA: Was ist der älteste Weihnachtsbrauch? 

Döring: Der ist wieder katholisch. Das ist die Krippe. Die verbreitete sich im 16. Jahrhundert im Zuge der Gegenreformation. Sie wurde von den Jesuiten in Kirchen aufgestellt, um Menschen im Glauben zu unterweisen. Seit dem 19. Jahrhundert steht sie dann aber auch in Privathäusern und auch in protestantischen Kirchen.

KNA: Werden Weihnachtsbräuche weniger wichtig?

Döring: Nein. Aber sie profanieren sich. Ein Beispiel ist der Adventskalender, den ein Münchener Verleger Anfang des 20. Jahrhunderts erfunden hat. Damals steckten darin Bibelverse, heute Star-Wars-Figuren oder Schokolade. Das trifft den Geschmack der Kinder natürlich besser. Mich macht das aber ein bisschen traurig.

KNA: Hat die Kirche Weihnachten als Brauchtum verloren?

Döring: Nein, keineswegs. Viele Gemeinden besinnen sich auf Weihnachtsbräuche und entwickeln sie weiter. Nehmen Sie den lebendigen Adventskalender. Da dekoriert an jedem Adventstag ein Gemeindemitglied ein Fenster seines Hauses oder seiner Wohnung. Davor versammeln sich die übrigen Gemeindemitglieder und singen. Anschließend isst und trinkt man gemeinsam.

KNA: Ist es typisch, dass sich Bräuche verfeinern, also vom Adventskalender zum lebendigen Adventskalender oder vom Weihnachtsbaum zur Nordmanntanne?

Döring: Man kann nicht sagen verfeinern - sie wandeln sich stetig.

Das spiegelt den jeweiligen Zeitgeist wieder, wie auch der Weihnachtsschmuck. Da hingen anfangs Äpfel und Naschwerk, das durften die Kinder dann ernten. Später kamen Kerzen und Kugeln. im 19 Jahrhundert gab es auch regelmäßige Glaubenskriege um den Weihnachtsbaum. Katholische Theologen polemisierten gegen die Protestanten: Wir sammeln uns um die Krippe, ihr euch unter einem Baum. An dem hing übrigens im Ersten Weltkrieg auch schon mal ein U-Boot.

KNA: Gibt es auch heute noch skurrilen Weihnachtsschmuck?

Döring: Glücklicherweise keine U-Boote mehr. Aber eine Kollegin berichtete mir kürzlich von einem Adventskranz to go. Der steckte in einer kleinen grünen Blechschachtel - Besinnung für unterwegs.

Das Interview führte Jonas Krumbein.


Quelle:
KNA