Bischöfe im Advent: Bischof Gebhard Fürst, Bistum Rottenburg-Stuttgart

"Advent heißt Ankunft"

Mit den deutschen Bischöfen durch den Advent. Jeden Tag ein Impuls eines deutschen Kardinals, Bischofs oder Weihbischof. Der Bischof des Bistums Rottenburg-Stuttgart nimmt ein Bild des Malers Vincent van Gogh zum Ausgangspunkt seiner Betrachtung zum Advent.

 (DR)

"Ein Bild des Malers Vincent van Gogh möchte ich zum Ausgangspunkt meiner Betrachtung zum Advent nehmen. Ein Paar dunkle, schwere, abgetragene Stiefel. Sie stehen einfach da, ohne den Menschen, der mit ihnen durchs Leben geht. Und doch erzählen sie seine Geschichte, die Geschichte einer langen Wanderschaft, die Geschichte eines vielleicht mühsamen Weges durch das Leben mit Auf und Ab, mit Hoffnung und mit Enttäuschungen, mit Augenblicken des Glücks und Erfahrungen von Dunkelheit und Leid. eine Geschichte, die zu jedem Menschen gehören kann.

Van Gogh hat im Jahr 1887 eine ganze Serie von Bildern zu diesen Schuhen gemalt. Sind sie gleich mit seiner eigenen Existenz? Sinnbild seines kurzen Lebens, das stets nur ein mühevolles Ringen um das eigene Werk, um Anerkennung, um Freundschaft und Liebe war? Sinnbild auch seines Suchens nach Gott und seines Ringens mit Gott? Dafür hatte er sich als Laienprediger, als selbst ernannter Missionar in den Elendsvierteln des belgischen Kohlenreviers buchstäblich zum Narren gemacht, aber dies dann wieder aus seinem Leben verbannt. In seinen Bildern aber blieb dies doch immer irgendwie präsent. In den kreisenden Sonnen, in den Sternen am Nachthimmel, in den Lichtern der nächtlichen Stadt, in den Bildern vom Sämann und Schnitter mit ihrer Botschaft vom Werden und vom Vergehen, das doch auch eine Ernte ist. Und wohl auch in dem hellen Lichtschein um die dunklen Schuhe, der mehr ist als nur ein formaler Kontrast.

Warum wähle ich dieses Bild für eine Betrachtung zum Advent? Für mich ist Van Goghs Bild der ausgetretenen Schuhe ein starkes Symbol. Weit über Van Goghs Schicksal hinaus erzählen sie Geschichten ungezählter menschlicher Leben. Ich selbst kann es sein, der sie abgestellt hat, um ein wenig auszuruhen. Jeder, jede kann es sein. Sie erzählen Bilder davon, dass unser Leben unterwegs sein bedeutet, mit mühsamen Schritten oft, manchmal auch mit weit ausholenden Bewegungen auf ebenen Wegen und in steinigem, morastigem, unwegsamem Gelände. Manchmal mit einem Ziel vor Augen und nicht selten auch ins Ungewisse hinein. Doch solange wir unterwegs sind, heißt das auch, dass wir einen Sinn darin sehen, vorwärts zu gehen, dass wir bewusst oder unbewusst darauf vertrauen, dass unsere Schritte ein Ziel haben. Ein Ziel, nicht nur irgendein Ereignis in naher oder ferner Zukunft, dass wir überschauen und dass dann doch vorläufig bleibt, ein Ziel, also ein endgültiges Ankommen, eine Lebensfülle, vor der unsere Vorstellungen und Bilder armselig bleiben. Manchmal steht dieses Sinn-Ziel unseres Lebens deutlich vor den Augen unseres Glaubens. Oft entzieht es sich uns aber und lässt uns mit Fragen und Zweifeln zurück. Aber da ist noch etwas Anderes. Wir könnten uns nicht aufmachen, uns auf den Weg begeben, Tag für Tag neu, ein Leben lang, wenn da nicht etwas wäre, das uns einlädt, das uns anzieht. Ein "Du", so glauben wir, das uns immer schon anschaut, wenn wir mit manchmal müden Augen nach ihm suchen. Ein "Du", das uns immer schon entgegenkommt, wenn wir zu ihm aufbrechen.

Advent heißt Ankunft, Ankunft Gottes in unserem Leben, am Ende unseres irdischen Lebens, wenn wir Gott erkennen, so wie wir uns von ihm erkannt wissen. Ankunft Gottes am Ende der Zeit einmal, wenn die Menschen, die Welt, der Kosmos zu ihrer Vollendung kommen, aber auch jetzt, immer, tagtäglich, in jedem Augenblick. Advent, Ankunft Gottes, kann jederzeit in unserem Leben geschehen. "Der Wanderer", so hat einmal jemand zu Van Goghs Bild der Schuhe gesagt, " der Wanderer bleibt ein Fremder und gehört doch zu den wenigen Glücklichen, die ihre Heimat immer in sich tragen." Solange wir unterwegs bleiben, ist überall Zeit und Ort, wo Gott uns entgegenkommen kann, wo Gott in uns ankommt. Das können Momente der Liebe sein und des unerwarteten Glücks, das können Erfahrungen sein, die uns erschüttern und uns schmerzlich infrage stellen. Gott kann uns als Trost begegnen. Es kann auch sein, dass alles so scheint, als gäbe es keinen Gott, doch er ist da. Der Naturwissenschaftler und Theologe Pierre Teilhard de Chardin hat in seinem Tagebuch einmal notiert: "Wenn mich etwas gehalten hat, dann war es eine Stimme, die aus der tiefsten Tiefe der Nacht zu mir sagte: Fürchte dich nicht, ich bin es." Wir können sie nicht erzwingen und auch nicht festhalten, diese Erfahrungen von Gottes Ankunft in unserem Leben. Wir können nur unterwegs bleiben und darauf vertrauen, dass er uns immer schon entgegenkommt und dass unsere Wanderschaft überall und jederzeit Begegnung mit Gott sein kann. Sein Name ist: "Ich bin da".

Ich wünsche Ihnen eine gesegnete Adventszeit.