Weihnachtsansprache des Erzbischofs von Köln

"Sein Kommen in unsere Welt"

"Das Weihnachtsfest zieht mit elementarer Kraft die Menschen in seinen Bann, und zwar ganz gleich, ob sie dem Christentum nahe oder fern stehen. Darin zeigt sich der innerste Kern von Weihnachten: Das Kommen Gottes in unsere Welt, eines Gottes, der ein elementares Ereignis ist. Die vier klassischen Elemente Erde, Feuer, Luft und Wasser sind der Stoff, in dem sich das Kommen Gottes einprägt."

 (DR)

1. Die Erde
Gott wird Mensch. Am Schöpfungsmorgen bildet Gott den Menschen aus dem Staub der Erde: "Gedenke, o Mensch, dass du Staub bist und zum Staub zurückkehrst" spricht die Kirche bei der Austeilung des Aschenkreuzes am Aschermittwoch. Nun nimmt Gottes Sohn selbst den Staub dieser Erde an. Die Ostkirche stellt die Geburt Christi in einer Erdhöhle dar, dort, wo wir auch unsere Toten bestatten. Die Erdwerdung Gottes hat aus dem Menschen der Erde ein Kind Gottes gemacht. Nicht die Erdhöhle ist sein Los, sondern die Wohnung bei Gott. "Ich gehe, um einen Platz für euch vorzubereiten. . . ., damit auch ihr dort seid, wo ich bin" (Joh 14,2-3), sagt der Herr. Die alten Theologen sagen: "Christus ist von Natur aus Gott, und der Mensch ist aus Gnade wie Gott". Darum verkündet der Engel die überaus große Freude, die allem Volk zuteil werden soll.
2. Das Feuer
Unser Gott ist ein elementares Ereignis: "Denn der Herr, dein Gott, ist ein  verzehrendes Feuer" (Dtn 4,24), so sagen die alttestamentlichen Schriften. Der Himmel brannte gleichsam über Bethlehem, als die Engel die Geburt Christi verkündeten. In einem alten Weihnachtsgebet sprechen die Glaubenden vor der Krippe: "Wie hast du gefroren, du brennendes Feuer". Der Herr sagt: "Ich bin gekommen, um Feuer auf die Erde zu werfen. Wie froh wäre ich, es würde schon brennen!" (Lk 12,49). Über unsere Welt scheint eine neue Eiszeit hereinzubrechen, obwohl sich das Weltklima erwärmt hat. Der pure Materialismus und Egoismus lässt die Herzen der Menschen und Völker erstarren. Das Leben der Menschen - privat und öffentlich - gleicht oft einer Gletscherlandschaft: glänzend, aber kalt; glatt, aber unter dem Gefrierpunkt. Das Gebet der Kirche: "Entzünde in uns das Feuer deiner Liebe" ist von hoher Aktualität. Weihnachten ist die Erfüllung dieser Sehnsucht. Darum mahnt der Apostel: "Lasst euch vom Geist entflammen!" (Röm 12,11).

3. Die Luft
Unser Gott ist ein elementares Ereignis. In der Atmosphäre zeigt der Stern von Bethlehem das Kommen Christi an. Die Menschen damals warteten auf den Messias. Sein Kommen lag gleichsam in der Luft. Was liegt denn bei uns zulande in der Luft? Was bestimmt die öffentliche Meinung? Wir meinen, dass es trotz allem die Sehnsucht nach dem ist, der gekommen ist. In Literatur und Bildern der Kunst wird das Heimweh nach Gott, die Sehnsucht nach einem tragenden Sinn des Lebens immer deutlicher, die Sehnsucht nach Frieden unter den Menschen immer lauter. In der Atmosphäre von Bethlehem begegnen einander die palästinänsischen Hirten und die arabischen Könige. Christus ist die Antwort auf alle unsere Fragen. Er ist die Lösung aller unserer Probleme. Es gibt daher für Mensch und Welt nichts Dringlicheres, als die Atmosphäre Christi zu ermöglichen, die Luft von allem Bösen zu reinigen, damit die öffentliche Meinung bestimmt wird vom Evangelium: Ehre sei Gott in der Höhe, und Friede den Menschen auf Erden seiner Gnade (vgl. Lk 2,14).

4. Das Wasser
Unser Gott ist ein elementares Ereignis. Aus der Herzwunde dieses Kindes wird dann das Wasser am Kreuz herausfließen. Wer von diesem Wasser in der Taufe berührt wird, wird ihm geschwisterlich verwandt. Der Mosaikstern, der in der Geburtsgrotte von Bethlehem die  Stelle markiert, auf der Gott diese Erde betreten hat, trägt 14 Zacken. Sie weisen schon auf die 14 Stationen seines Kreuzweges in Jerusalem hin. Die Krippe ist eigentlich schon das vorweggenommene Kreuz. Manche sagen: Die Krippe ist das Kreuz in der Dimension des Kindes. Wir sind nicht bloß losgekauft von Schuld und Sünde durch Gold und Silber, sondern durch das kostbare Blut Christi, das uns im Wasser der Taufe zuteil wurde. Wer nicht wiedergeboren wird aus dem Wasser und dem Heiligen Geist, kann nicht in das Reich Gottes kommen" (vgl. Joh 3,5), sagt die Schrift. Wäre Christus tausendmal in Bethlehem geboren, aber nicht dieses eine Mal in dir, so wäre Bethlehem für uns belanglos, sagt Angelius Silesius. Gott ist keine Privatsache, denn unser Gott ist ein elementares Ereignis. Er möge sich auch ereignen in unserem Leben, und er möge sich unser einmaliges Leben aneignen. Das ist mein Weihnachtswunsch für Sie alle. Amen.

+ Joachim Kardinal Meisner
   Erzbischof von Köln