Bischöfe zum Advent: Bischof Joachim Wanke aus dem Bistum Erfurt

"Mauern nicht kleinreden"

Jeden Tag im Advent ein Bischofswort: Heute von Bischof Joachim Wanke aus dem Bistum Erfurt: "In diesem Herbst haben wir intensiv auf die Ereignisse vor 20 Jahren zurückgeschaut. Dabei hat uns wie damals die Dankbarkeit und das freudige Staunen über das Geschenk der Einheit und neuer Freiheit bewegt. Besonders die Nacht der Maueröffnung in Berlin war dramatisch."

 (DR)

Die Grenzsoldaten kapitulierten vor dem Ansturm der Massen und ließen die Menschen passieren. Die Bilder von dieser Nacht sind heute noch beeindruckend. Und das alles geschah ohne Gewalt, ohne Blutvergießen. Unsere Generation ist wirklich mit den Ereignissen damals beschenkt worden.

Auch wenn wir wissen, dass glückliche, politische Umstände und der Freiheitswille der Völker Osteuropas zum Gelingen der friedlichen Revolution entscheidend beigetragen haben. Ich empfand das alles damals wie ein Wunder. Darum haben wir nicht nur Menschen, sondern vor allem Gott zu danken. Mit meinem Gott überspringe ich Mauern. Dieses Psalmwort war unter Christen in der früheren DDR sehr beliebt. In dem Bild, das der  Psalmist benutzt, steckt die Zuversicht: Es gibt für Menschen, die auf Gott vertrauen, keine Mauern, die unüberwindbar sind. Für uns damals in der eingemauerten DDR war das ein Hoffnungswort. Auch die Mauer, seinerzeit errichtet, um Menschen voneinander zu trennen, würde nicht auf ewig Bestand haben.

Es gibt viele Mauern im Leben, die uns zu schaffen machen. Das sind nicht nur Grenzen zwischen Staaten und Gesellschaftssystemen. Es gibt Mauern des Hasses, der Abneigung, des Nicht-Verstehens. Menschen sind getrennt durch Lebensjahre, durch Entfernungen, durch bittere Ereignisse in der Vergangenheit. Wie konnte es nur dazu kommen? So wird auch mancher von Ihnen fragen, etwa wenn er an die Kinder denkt, die sich zerstritten haben oder an Menschen, die Ihnen weh getan haben, oder dass gute Freunde sich nicht mehr melden, oder dass die Gebrechlichkeit vieles an Kontakten unmöglich macht. Im Rollstuhl kann man eben kaum noch Besuche machen.

Liebe Hörerinnen und Hörer, wir dürfen diese Mauern nicht klein reden. Sie sind ebenso schlimm, wie die Mauer, die Deutsche von Deutschen getrennt hat. Aber könnte uns der Mauerfall von damals nicht Hoffnung machen, dass auch diese zwischenmenschlichen Mauern nicht für immer bestehen bleiben? Wir dürfen, auch im Blick darauf, was uns mit unseren ganz persönlichen Erfahrungen des Eingemauert-Seins bedrängt beten: Mit meinem Gott überspringe ich Mauern. Er wird mir beistehen, dass ich nicht alleine bleiben, nicht in Traurigkeit und Schwermut versinke. Er wird einen Ausgang auftun, einen Spalt öffnen, ein Tor in der Mauer, die mich jetzt vielleicht gerade umgibt, und die mir so zu schaffen macht. Das tut Gott gewiss, wenn er uns zu sich einst in seine Herrlichkeit holen wird. Aber er vermag es auch jetzt schon, wenn wir ihn inständig bitte, wir müssen uns von ihm führen lassen, dann werden wir Möglichkeiten entdecken, uns für andere Menschen in Liebe und Zutrauen zu öffnen.

Ein Dankeschön, ein gutes Wort, eine Geste zärtlicher Zuwendung. Das überwindet Mauern, das schafft Verbindungen und Brücken, die Menschen gerne beschreiten. Vor uns liegt wieder Weihnachten. Nehmen wir die Adventszeit zum Anlass, auf einen Menschen zuzugehen, der gerade an solch einem Festtag die Einsamkeit besonders schmerzlich spürt. Jesus, unser Herr, der selbst Mauern des Hasses und Nicht-Verstehens erfahren hat, wird uns bei diesem Bemühen helfen. Bitten wir ihn darum. Ich wünsche Ihnen und allen, die Ihnen verbunden sind, eine gesegnete Adventszeit und dann frohe, erfüllte Weihnachtstage.