Frage an Weihbischof Schwaderlapp

Wie können biblische Erzählungen mit der Evolution in Übereinstimmung gebracht werden?

Die biblische Erzählung von der Erschaffung des Menschen, Paradies, Sündenfall, Vertreibung aus dem Paradies und Tod als Folge der Sünde bildet die Begründung für die Erlösung der sündigen Menschheit durch Jesu Tod am Kreuz. Wie kann die mythische Sicht des Alten Testatments mit den Erkenntnissen der Evolution in Übereinstimmung gebracht werden? Lässt sich die theologische Deutung des Kreuzesopfers Jesu auch unter den Bedingungen der Evolution noch halten? (G.P.)

Wegkreuz / © Harald Oppitz (KNA)
Wegkreuz / © Harald Oppitz ( KNA )

Sehr geehrte Frau P.,

haben Sie Dank für Ihre Mail vom 8. März 2019, in der Sie nach der Vereinbarkeit von katholischer Erbsündenlehre und Evolution fragen! Dabei beziehen Sie sich offenkundig insbesondere auf den Zweiten Schöpfungsbericht des biblischen Buchs Genesis (2,4b-3,24), der vermutlich recht früh - wohl im 10. Jahrhundert vor Christus - verfasst wurde.

Ich habe Verständnis dafür, dass das Alte Testament auf viele heutige Leser wie ein mythischer Text wirkt. Tatsächlich zeigt aber der Vergleich mit dem babylonischen Schöpfungsmythos "Enūma eliš" und anderen Mythen des altorientalischen Kulturkreises, dass - ganz im Gegenteil - die Bibel solche Texte sogar entmythologisiert! Die Kämpfe auf Leben und Tod zwischen Gottheit(en) und urzeitlichen Chaosungeheuern sind in der Bibel allenfalls noch ferne Reminiszenzen. Aus dem Ungetüm Levíatan beispielsweise macht der Schöpfungspsalm 104 (V. 26) eine Art "Schoßhund", den Gott erschaffen hat, "um mit ihm zu spielen" (!). Die Gestirne, in den Hochkulturen zur Zeit des Alten Israel als Götter verehrt, nennt der Erste Schöpfungsbericht lakonisch "Lampen"; eine atheistische Blasphemie in den Ohren damaliger Menschen!

Das Alte Testament reiht sich also gerade nicht ein in die mythischen Texte des Orients, sondern bildet bei näherem Hinsehen sogar einen teilweise harten Kontrast dazu. Wir stoßen in der Bibel zwar in der Tat immer wieder einmal auf mythische Begriffe und Sprachgestalten; diese werden jedoch in ganz neuem Sinn gedeutet und verwendet. Das kennen wir ja auch: Wenn Sie beispielsweise sagen, die Sonne sei aufgegangen, dann bedienen Sie sich einer gängigen Ausdrucksweise, ohne dass Sie das ursprünglich dahinter stehende geozentrische Weltbild noch verträten.

Dass der Zweite Schöpfungsbericht kein Mythos ist, bedeutet aber nicht, dass er als astrophysikalische Beschreibung der Entstehung unserer Welt zu verstehen wäre. Man kann ihn nur dann angemessen verstehen, wenn man bedenkt, welche Absicht er verfolgt und welchem literarischen Genus er angehört. Die Naturwissenschaft fragt, wie etwas entstanden ist und abläuft, Bibel und Theologie dagegen, warum, mit welchem Sinn und zu welchem Ziel etwas geschieht. Auch der Zweite Schöpfungsbericht ist literarisch eine "Ätiologie" (von griechisch aitía = Ursache) und fragt als solche, woher die offensichtlichen Störungen in Gottes doch eigentlich guter Schöpfung kommen. Naturwissenschaftliche und historische Fakten werden dabei zwar zugrunde gelegt, soweit sie bekannt sind, fungieren aber eher als Mittel denn als Zweck.

Hier kommt das Mysterium der Sünde ins Spiel, die sich gemäß katholischer Glaubensüberzeugung in der gesamten Geschichte jedes Menschen sowie der gesamten Menschheit auswirkt. In der Erzählung vom Sündenfall geht es natürlich nicht primär um einen Obstdiebstahl, sondern darum, dass die ersten Menschen Gottes Weisung übertreten haben. Diese "Ursünde" hatte fatale Konsequenzen für sie selbst und - da sie als Ureltern des ganzen Menschengeschlechts die durch ihre Schuld entstandene Störung als "Erbsünde" weitergegeben haben für alle anderen Menschen. Die Erbsündenlehre war freilich mit der Erzählung vom Sündenfall noch nicht abgeschlossen: Es brauchte zumindest noch einen Apostel Paulus sowie einen heiligen Augustinus. Beide haben sowohl die Verstrickung in die Sünde als auch Gottes erlösende Gnade am eigenen Leib verspürt, diese theologisch gedeutet und so das Fundament für eine systematische Erbsündenlehre gelegt.

An der Evolutionstheorie nimmt die katholische Kirche - anders als die evangelikalen Freikirchen namentlich in den USA - (fast) keinen Anstoß. Schon Papst Pius XII. ließ in seiner Enzyklika "Humani generis" von 1950 ausdrücklich Spielraum dazu, "dass in Übereinstimmung mit dem augenblicklichen Stand der menschlichen Wissenschaften und der Theologie die Entwicklungslehre Gegenstand der Untersuchungen und Besprechungen der Fachleute beider Gebiete sei, insoweit sie Forschungen anstellt über den Ursprung des menschlichen Körpers aus einer bereits bestehenden, lebenden Materie". Pius bezeichnet es dagegen als Verpflichtung des katholischen Glaubens, "daran festzuhalten, dass die Seelen unmittelbar von Gott geschaffen sind" (n. 36).

Papst Johannes Paul II. hat dann 1996 in einer Botschaft an die Mitglieder der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften kommentierend hinzugefügt: "Heute, beinahe ein halbes Jahrhundert nach dem Erscheinen der [o.g.] Enzyklika, geben neue Erkenntnisse dazu Anlass, in der Evolutionstheorie mehr als eine Hypothese zu sehen. Es ist in der Tat bemerkenswert, dass diese Theorie nach einer Reihe von Entdeckungen in unterschiedlichen Wissensgebieten immer mehr von der Forschung akzeptiert wurde. Ein solches unbeabsichtigtes und nicht gesteuertes Übereinstimmen von Forschungsergebnissen stellt schon an sich ein bedeutsames Argument zugunsten dieser Theorien dar" (n. 4). Auch er erklärt freilich diejenigen Evolutionstheorien für "nicht mit der Wahrheit über den Menschen vereinbar, die - angeleitet von der dahinter stehenden Weltanschauung - den Geist für eine Ausformung der Kräfte der belebten Materie oder für ein bloßes Epiphänomen dieser Materie halten. Diese Theorien sind im Übrigen nicht imstande, die personale Würde des Menschen zu begründen" (n. 5).

Ein wenig verwundert mich nur, dass Sie nicht - wie es geradezu klassisch ist - die Schöpfungsverkündigung mit der Evolutionstheorie konfrontieren, sondern ausgerechnet die Erbsünde. Weder die katholische Theologie und die klassische christliche Philosophie, denen ich mich in diesem Punkt uneingeschränkt anschließe, halten es für möglich, dass sich der Mensch mit Leib und Seele aus niedrigeren Formen entwickelt hat, weil der Geist die Möglichkeiten der Materie übersteigt und sich daher nicht aus dieser ableiten kann. Setzt man das aber in einem Gedankenspiel doch voraus, dann hätte selbstverständlich auch der auf diese Weise entstandene Mensch, zum Bewusstsein gelangt, Gottes Weisung übertreten können.

Um nach dieser langen, aber notwendigen Vorrede Ihre konkrete Frage zu beantworten: Die in jedem Messopfer vergegenwärtigte theologische Deutung des Kreuzesopfers Jesu zur Tilgung unserer Sündenschuld wird durch die Evolutionstheorie in keiner Weise beeinträchtigt.

In der Hoffnung, Ihnen mit meiner Antwort gedient zu haben, verbleibe ich mit allen Segenswünschen

Ihr

+Dominikus Schwaderlapp


Weihbischof Schwaderlapp (Erzbistum Köln)