Schavan befürwortet Vatikan-Dialog mit China

"Kirche kann sich nicht vereinnahmen lassen"

Diplomatische Beziehungen sind kompliziert. Zwischen Vatikan und China gibt es seit einiger Zeit ein Abkommen, das umstritten ist. Vatikan-Diplomatin Annette Schavan wirbt jedoch für Gespräche mit Peking, auch über Menschenrechte.

Papst Franziskus mit chinesischen Pilgern (Archiv) / © Paul Haring/CNS photo (KNA)
Papst Franziskus mit chinesischen Pilgern (Archiv) / © Paul Haring/CNS photo ( KNA )

DOMRADIO.DE: In einer Zeit, in der China zunehmend autoritär auftritt und anscheinend auch Menschenrechte verletzt, halten Sie diplomatische Beziehungen mit Peking für unabdingbar. Warum?

Annette Schavan (Co-Vorsitzende des Deutsch-Chinesischen Dialogforums und ehem. deutsche Botschafterin beim Heiligen Stuhl)Diplomatische Beziehungen wird es noch lange nicht geben, denn bislang existieren die diplomatischen Beziehungen mit Taiwan. Und wir dürfen nicht vergessen, zwei Jahre nach Staatsgründung 1951 sind die diplomatischen Beziehungen von China abgebrochen worden. Aber Gespräche sind wichtig, im Kontakt bleiben ist wichtig.

Annette Schavan / © Laurence Chaperon (lc)
Annette Schavan / © Laurence Chaperon ( lc )

Papst Franziskus hat zum Beginn seines Pontifikats gesagt, Asien sei sein regionaler Schwerpunkt. Viele haben ganz gewiss nicht an China gedacht. Aber zu dieser Region gehört dieses große Land. Und das Schicksal der Christen dort kann dem Vatikan nicht egal sein.

DOMRADIO.DE: Vor gut zwei Jahren wurde zwischen China und dem Heiligen Stuhl ein vorläufiges Abkommen unterzeichnet. Was besagt dieses Abkommen?

Schavan: Es ist ein Abkommen, in dessen Mittelpunkt die Ernennung von Bischöfen steht. Deshalb war jetzt die Nachricht aus den letzten Tagen interessant, dass der erste Bischof mit dem Reglement, das in diesem Abkommen festgelegt ist, geweiht wurde. Das ist ein allererster Schritt.

Wer sich die letzten 20 Jahre anschaut, der stellt fest, dass der Heilige Stuhl schon seit dem Jahr 2000 - damals war es Papst Johannes Paul II. - versucht hat einen Gesprächsfaden zu entwickeln. Papst Benedikt XVI. hat den Vorschlag gemacht, ein Abkommen zu schließen. Das gibt es nun, und es wird vermutlich wieder 20 Jahre oder länger brauchen, um weitere Schritte zu schaffen.

Erzbischof Paul Richard Gallagher, vatikanischer Außenbeauftragter / © Romano Siciliani (KNA)
Erzbischof Paul Richard Gallagher, vatikanischer Außenbeauftragter / © Romano Siciliani ( KNA )

Ich bin so sehr für diese Gespräche, weil die katholische Kirche eine Weltkirche ist. Sie hat Erfahrung mit viel Inkulturation. Sie weiß, wie es ist, wenn ich mit ganz fremden Kulturen zu tun habe. Der "Außenminister des Heiligen Stuhls", Erzbischof Gallagher, hat gesagt: Wir bleiben ganz katholisch und adäquat chinesisch. Das heißt, die Weltkirche zeigt Interesse und will verstehen, was mit chinesischer Kultur und mit der Entwicklung in diesem Land verbunden ist.

DOMRADIO.DE: Nun gibt es auch Kritik an diesem Abkommen. Der emeritierte Bischof von Hongkong, Kardinal Zen, befürchtet, dass durch dieses Abkommen Bischöfe installiert werden können, die mehr kommunistisch als katholisch sind. Sind diese Befürchtungen berechtigt?

Schavan: Wer die Christenverfolgung in China kennt, auch die so schwierigen Verhältnisse jetzt, der kann Einwände schon verstehen. Es stellen sich Fragen: Was ist eigentlich mit den Christen, die gelitten haben - die Christen im Untergrund? Der Prozess, der da im Gang ist, der neue Gesprächsfaden, ruft natürlich auch Widerstand hervor. Viele, die seit Jahren gute Kontakte nach China haben, sagen derzeit, dass es komplizierter wird und dass man manchmal die Lust verliert.

Dennoch sage ich, dass es gerade in solch schwierigen Situationen wichtig ist, im Gespräch zu bleiben und auszuloten, welche Möglichkeiten wir haben, dieses Land und die Eliten dort davon zu überzeugen, dass Religion eine wichtige Kraft in jeder Gesellschaft ist, egal wie sie verfasst ist.

Natürlich erleben wir, dass Despoten Religion nicht mögen. Despoten bekämpfen Religion oder sie vereinnahmen sie. Vor beidem müssen Religionen sich schützen und Religionsfreiheit einfordern. Immer geht es um Balancen. Und dass eine Regierung auch wissen will, wer Bischof im Land wird, das ist ja keine chinesische Spezialität. Das gibt es überall. Überall werden Regierungen sogar zum Teil befragt.

Aber noch einmal: Ich habe großes  Verständnis für die Einwände und glaube dennoch, dass eine Weltkirche mit einem solchen Staat und mit der kommunistischen Partei auf Augenhöhe sprechen kann. Eine Weltkirche ist nicht Teil eines Bündnisses. Sie muss keine Bündnispflichten erfüllen, keine Rücksichten nehmen. Das ist die große Chance.

Und deshalb glaube ich, dass noch mehr in den Jahrzehnten gelingen kann und dass es den Christen und auch den anderen Religionen zu Gute kommt. Denken wir nur an die Verfolgung der Uiguren. Auch das ist ein Thema, das uns ja wirklich beschäftigt und beunruhigt.

Chinesische Fahne auf dem Petersplatz / © Gregorio Borgia (dpa)
Chinesische Fahne auf dem Petersplatz / © Gregorio Borgia ( dpa )

Was da jetzt im Gespräch mit der Weltkirche im Gang ist, ist letztlich auch der Versuch zu sagen: Lasst euch auf eine Kraft in eurer Gesellschaft ein, die sich nicht an die Stelle einer Partei setzen wird, die sich nicht an die Stelle derer setzen will, die politische Verantwortung tragen, aber die für die kulturelle und spirituelle Weiterentwicklung des Landes Bedeutung hat.

DOMRADIO.DE: Millionen Katholiken in China können einer Weltkirche nicht egal sein, sagen Sie. Uns berichten Ordensleute aus China, dass seit diesem Abkommen die Partei die Gestaltung der Gottesdienste übernimmt. Statt christlicher Lieder würden nun Lieder auf die Partei und die Machthaber gesungen. Ist das der Preis für dieses Abkommen?

Schavan: Nein. Wenn das so ist, dann ist das natürlich eine Übergriffigkeit der Partei, die sich die Weltkirche nicht gefallen lassen kann. Ich bin aber ziemlich sicher, dass die Diplomaten des Heiligen Stuhls, die ja immer auf lange Sicht hin Strategien entwerfen, auch solche Geschichten kennen und darüber im Gespräch sind.

Katholische Kirche in China

Nach Schätzungen von Experten sind rund 10 Millionen der knapp 1,4 Milliarden Einwohnern der Volksrepublik China Katholiken; die Behörden verzeichnen jedoch lediglich 6 Millionen. Das US-Forschungsinstitut Pew geht von 9 Millionen aus. Als kleine Minderheit haben die Katholiken mit rund 100 Diözesen dennoch landesweit funktionierende Kirchenstrukturen.

Kruzifix in katholischer Kirche in China / © Katharina Ebel (KNA)
Kruzifix in katholischer Kirche in China / © Katharina Ebel ( KNA )

Es wird ein Prozess sein, in dem es auch Rückschritte gibt. Es wird ein Prozess sein, in dem spürbar wird, dass immer wieder versucht wird zu vereinnahmen, was da an möglicher religiöser Kraft ist. Es ist mit dem Abkommen nicht getan. Das Abkommen ist ja nur ein erster Schritt. Es betrifft ein Thema, mehr nicht. Andere Themen werden folgen.

Es gibt immer wieder Nachrichten, dass es Vereinnahmungsversuche gibt oder dass die Partei versucht zu "korrigieren", was die Botschaft des Christentums ist. Über all das muss gesprochen und auch dann klargemacht werden, dass solche Übergriffigkeit nicht zugelassen wird.

DOMRADIO.DE: Wie geht man denn als Weltkirche mit solchen Übergriffigkeiten um? Läuft das über öffentlichen Protest oder macht man das mehr auf diplomatischen und versteckten Kanälen?

Schavan: Diplomatie ist geduldiges Verhandeln hinter den Kulissen. Daran können sich viele beteiligen, natürlich diejenigen, die von den Kirchen dorthin gesandt werden. Aber das können auch Botschafter aus Ländern sein, in denen es einen ganz anderen Umgang mit Religion gibt.

Also Diplomatie heißt: es steht nicht in der Zeitung. Diplomatie heißt: es passiert nicht auf dem Marktplatz. Die älteste Diplomatie, die wir kennen, ist die Diplomatie des Heiligen Stuhls.

Erinnern Sie sich an Kardinalstaatssekretär Casaroli, der damals im Blick auf die Ostpolitik den Vatikan zu einem Vorreiter gemacht hat. Viele haben sich damals gefragt, wie man sich auf das Gespräch mit dem Osten, mit den Kommunisten einlassen könne.

Vielleicht ist es jetzt eine vergleichbare Situation, wo manche sagen, dass es manchen weh tut oder als Verrat gewertet wird, aber dass - auf das Ganze gesehen - etwas in Bewegung kommt, das sich dann doch am Ende positiv auswirkt und zu einem anderen Umgang mit Religion und zur Religionsfreiheit führt.

Ich glaube, dass derzeit alles, was mit Religionen zu tun hat, in China als Gefahr gesehen wird und überhaupt nur in Nischen möglich ist.

DOMRADIO.DE: Papst Franziskus hat jetzt in einem Buch von den "verfolgten Uiguren" gesprochen und schon damit bei der chinesischen Führung für Verstimmung gesorgt. Soll man weiterhin davon sprechen oder sich besser mit solchen Formulierungen zurückhalten? 

Schavan: Nein, eindeutig weitersprechen und Klartext sprechen! Dieser Papst ist dafür bekannt. Die katholische Kirche als Weltkirche muss das tun. Sie kann sich nicht in einer Weise vereinnahmen lassen, die vor allen Dingen mit Vorsicht verbunden ist.

Ich finde gut, dass er in einem Buch, das auch noch den Titel "Wage zu träumen!" trägt, das so klar anspricht. Genau solche Themen sind Anknüpfungspunkte für den Dialog. Die dürfen nicht außen vor bleiben.

Diplomatie heißt ja nicht, sich ein paar schöne Themen auswählen und darüber unverbindlich plaudern oder wissen, dass ich die Themen gewählt habe, die beide Seiten gut finden. Sondern Diplomatie heißt ja gerade, sich auch an die großen Konfliktpunkte heranwagen.

Natürlich muss die Kommunistische Partei wissen, dass, wenn sie Religionen verfolgt und Menschen einsperrt, die glaubende Menschen sind, damit in der Weltgemeinschaft und in der Weltkirche auf klare Ablehnung stößt.

DOMRADIO.DE: Wäre es besser gewesen, Papst Franziskus hätte Kardinal Zen, der ja vor einigen Wochen in Rom weilte und mit dem Papst über China sprechen wollte, empfangen? Solch ein Treffen war vom Kardinal ja gewünscht.

Schavan: Das kann ich nicht beurteilen, weil ich die Vorgeschichte nicht kenne. Ich glaube, dass das Gespräch mit dem Papst dann am ehesten möglich ist, wenn nicht gleichsam eine Festigung der Position schon erfolgt ist. So, vermute ich, war die diplomatische Situation. Aber ich weiß es nicht.

DOMRADIO.DE: Was ist Ihr Szenario bei diesen Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und China? Kann es auch Rückschläge geben, dass ein solches Abkommen ausläuft und nicht verlängert wird und alles wieder so ist wie früher?

Schavan: Ja, alles ist möglich. Es kann durchaus sein, dass die Situation problematischer wird. Es kann durchaus sein, dass sich Dinge ereignen und Entwicklungen in Gang kommen, von denen dann eine Weltkirche sagen muss: Das ist für uns ein No-Go. Da ist eine rote Linie überschritten. Das ist nicht auszuschließen.

Wir erleben derzeit große Nervosität in China. Wir erleben an vielen Stellen, dass etwas, das schon aufgebaut war, wo schon ein guter Gesprächskanal gewesen ist, plötzlich der Kanal zugemacht wird.

Also: alles ist möglich. Es wird nicht einen unaufhörlichen Fortschritt geben. Es ist verfrüht zu sagen, dass es irgendwann diplomatische Beziehungen gibt. Aber so ist Diplomatie in großem Stil: Langer Atem, viel Geduld und damit umgehen können, dass China ein selbstbewusster Gesprächspartner ist und genau dieses Selbstbewusstsein auch seitens der Kirche an den Tag legen. 

Das Interview führte Jan Hendrik Stens.

Quelle:
DR
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