Vor 150 Jahren wurde das Erste Vatikanische Konzil abgebrochen

Ein Ende mit Schrecken - mit Diskussionen ohne Ende

Unter turbulenten, düsteren Umständen hatte das Konzil den Primat des Papstes beschlossen. Als das unter Dach und Fach war, brach Krieg aus. Der Kirchenstaat fand nach 1.000 Jahren sein Ende - und auch das Konzil selbst.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
Erstes Vatikanisches Konzil / © Ernst Herb (KNA)
Erstes Vatikanisches Konzil / © Ernst Herb ( KNA )

Es war die bis dahin größte Kirchenversammlung aller Zeiten. 774 Kardinäle und Bischöfe der Weltkirche hatten ab Dezember 1869 am Ersten Vatikanischen Konzil teilgenommen. Ein unerquicklicher Verlauf, aber vor allem Krieg und politische Wirren sorgten dafür, dass es schon einige Monate später, am 20. Oktober 1870, auf unbestimmte Zeit vertagt wurde - und nie wieder zusammengerufen.

Die römische Kurie um Pius IX. (1846-1878) paukte die erwünschte Dogmatisierung der Unfehlbarkeit des Papstes in Glaubens- und Sittenfragen und seinen Jurisdiktionsprimat als höchste Rechtsgewalt der Kirche durch. Eine beachtliche Minderheit der Konzilsteilnehmer, darunter 15 der 20 deutschen Bischöfe, hatten dagegen bis zuletzt Bedenken geäußert.

Eine solche Definition würde einem möglichen Missbrauch des kirchlichen Lehramts Tür und Tor öffnen, so die Begründung. Zu ihnen gehörten so prominente Persönlichkeiten wie der Mainzer "Arbeiterbischof" Wilhelm Emmanuel von Ketteler, Ungarns Primas Janos Simor oder der Rottenburger Bischof und Konzilshistoriker Karl Joseph von Hefele.

"Wir haben einen großen Fehler gemacht!"

Was sollten die Dissidenten tun? In Anwesenheit des Papstes gegen das Dogma votieren? Immerhin mussten sie gewärtigen, bei einem Nein ("non placet") vom Papst ihres Bistums enthoben zu werden. 56 Konzilsväter unterzeichneten schließlich einen Brief an den Papst, der einem "non placet" gleichkam, und reisten am Tag vor der Abstimmung ab, die meisten mit dem Nachtzug nach Norden.

Nach einer offenbar schlechten Nacht sagte Erzbischof Lajos Haynald von Kalocsa schließlich zu einem Abteilgefährten Felix Dupanloup, Bischof von Orleans: "Wir haben einen großen Fehler gemacht!" Tatsächlich erhielten die strittigen Dekrete bei der Verabschiedung am 18. Juli 1870 lediglich zwei Gegenstimmen - und wirkten so in der Außenwirkung des Katholizismus unstrittig.

Und das Drama des Konzils setzte sich fort: Tags darauf begann der Deutsch-Französische Krieg. Bis auf rund 100 reisten die meisten der Bischöfe ab; das Konzil wurde unterbrochen. Ohnehin war vorgesehen gewesen, dass es nach der Unfehlbarkeitsabstimmung eine Sitzungspause bis 11. November geben sollte. Doch am 20. September - Frankreichs Kaiser Napoleon III. hatte seine Schutztruppen abgezogen - wurde Rom von italienischen Einigungstruppen eingenommen; der Kirchenstaat hörte nach 1.000 Jahren auf zu bestehen.

Um nicht formal auf seine weltliche Herrschaft verzichten zu müssen, erklärte sich Pius IX. selbst zum "Gefangenen im Vatikan" - und vertagte das Konzil schließlich "sine die", also auf unbestimmte Zeit. Es ist nie wieder zusammengetreten. Vorstöße einiger Konzilsväter für eine Verlegung ins belgisch-liberale Mecheln blieben von Rom unbeantwortet; entsprechende Pläne der jeweils neugewählten Päpste Pius XI. (1922-1939) und Pius XII. (1939-1958) verliefen im Sande.

Goldene Brücken für Bischöfe und Professoren

In der Zwischenzeit hatten in Deutschland und anderswo die dissidenten Bischöfe Mühe, sich selbst und die Wortführer der theologischen Professorenschaft wieder auf Linie zu bringen. Ein Bischof nach dem anderen unterwarf sich der Entscheidung des Konzils - indem sie zum Teil Goldene Brücken beschritten, die ihnen römische Interpretatoren zu einer wohlverstandenen Auslegung des Dogmas bauten. Dafür, dass nach klassischer Lehre ein Dogma das beinhaltet, was schon immer und überall von allen geglaubt wurde, war das ein schwieriger Ritt.

Das Papsttum ging trotz des gleichzeitigen Verlusts seiner weltlichen Macht gestärkt aus dem Konzil hervor. Rom wurde in der Folge immer mehr zum zentralistischen Ankerpunkt der Weltkirche. Der Entscheidung zugunsten der päpstlichen Unfehlbarkeit folgte aber auch ein Exodus vieler Intellektueller. Aus der Protesthaltung, der Papst sei an die Stelle der Kirche getreten, entstand im deutschsprachigen Raum die von Rom abgelöste sogenannte altkatholische Kirche mit ihrem ersten Bischof, dem Breslauer Theologieprofessor Joseph Hubert Reinkens (1821-1896). Ihr deutscher Bischofssitz ist bis heute Bonn.

Die Konzilsbeschlüsse selbst blieben ein Torso, die beiden Papstdogmen ein großer Stolperstein für die Ökumene, da die diversen von Rom getrennten christlichen Kirchen und Konfessionen dem Bischof von Rom im besten Fall eine Stellung als "Primus inter pares" zuzubilligen bereit sind. Im katholischen Kirchenbild ergänzte erst das Zweite Vatikanum (1962-1965) das Element der Kollegialität der Bischöfe.

Der Wiener Dogmatiker Jan-Heiner Tück wertet den Papstprimat zugleich als Bürde und Chance. Es brauche eine Balance zwischen einer auf den Papst zugeschnittenen hierarchischen Kirchensicht und einer Mitbeteiligung der Bischöfe an der Leitung der Gesamtkirche, schrieb Tück in einem Zeitungsessay.

Unter Johannes Paul II. (1978-2005) habe der römische Zentralismus aber neuen Auftrieb erhalten - mit "fatalen" Auswirkungen, so Tück. Er verweist auf Bischofsernennungen am Votum der Ortskirchen vorbei, auf Diskussionsverbote oder das Vorgehen gegen missliebige Theologen. Erst Franziskus habe seit 2013 eine "heilsame Dezentralisierung" eingeleitet; sie bedürfe aber noch einer kirchenrechtlichen Absicherung.


Quelle:
KNA
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