Vatikanexperte über das Amt des Camerlengo

"Früher in der Kirche eine der wichtigsten Persönlichkeiten"

Der Münchner Erzbischof Reinhard Kardinal Marx könnte im Rahmen der Kurienreform Camerlengo im Vatikan werden – so die Zeitschrift Herder Korrespondenz. Was macht überhaupt ein Camerlengo? Vatikanexperte Ulrich Nersinger erklärt es im Interview.

Blick auf den Petersdom vom Fluss Tiber / © TTstudio (shutterstock)
Blick auf den Petersdom vom Fluss Tiber / © TTstudio ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Was macht ein Camerlengo? Wir kennen ihn vor allem daher, dass er den Tod eines Papstes beurkunden muss und dann, bis zur Wahl eines neuen Papstes, die Besitztümer des Vatikans verwaltet. Hat der Camerlengo denn noch eine andere Funktion?

Ulrich Nersinger (Vatikanexperte): Das hatte er früher. Er war früher in der Kirche eine der wichtigsten Persönlichkeiten. Bis zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts kamen ihm sehr viele Aufgaben zu, die mit finanziellen Angelegenheiten zusammenhängen. Er war also so etwas wie der finanzielle Verwalter der Kirche, war ein sehr mächtiger Mann und hatte auch sehr viel Einfluss auf bestimmte Institutionen im alten Kirchenstaat. Die Apostolische Kammer war etwa seit dem elften, zwölften Jahrhundert eine der wichtigsten Institutionen des Heiligen Stuhls und vor allen Dingen mit der Finanzverwaltung beschäftigt, hatte aber auch Gerichtshoheit. Einer der ersten großen Prozesse gegen Martin Luther wurde nicht beim Heiligen Offizium, also bei der Inquisition geführt, sondern vor dem Gericht der Apostolischen Kammer. Es war eine sehr eindruckvolle Aufgabe, ein sehr eindrucksvolles, mächtiges Amt, das aber heute beschränkt ist auf die Zeit der Sedisvakanz, also des Todes oder des Rücktritts eines Papstes und seiner Neuwahl.

DOMRADIO.DE: Bisher wurde der Camerlengo immer persönlich vom Papst ernannt. Jetzt soll automatisch der Vorsitzende des Vatikanischen Wirtschaftsrats auch der Camerlengo werden. Der Vorsitzende des Wirtschaftsrats ist nun Kardinal Marx. Wird er also auch Camerlengo? Oder ist das nur ein Gerücht?

Nersinger: Ein Kollege hat ja so schön formuliert: Es ist noch nicht in trockenen Tüchern. Es gibt diese Gerüchte. Ob sich das jetzt bewahrheitet – das ist natürlich eine andere Sache. Die Tatsache an sich macht natürlich in gewisser Weise Sinn, wenn man sich das historisch betrachtet: Dass jemand, der sich mit Finanzen gut auskennt, dann natürlich in der Zeit, in der die Kirche ohne ihr Oberhaupt ist, sich um die weltlichen finanziellen Belange kümmert. Ich denke, das ist gar nicht schlecht durchdacht. Es ist natürlich die Frage, welche Person das dann macht. Kardinal Marx ist ja ein ausgesprochen guter Finanzverwalter. Er kennt sich in diesen Sachen sehr gut aus. Aber es ist natürlich auch eine Frage: Überträgt man so ein Amt jemandem, der aus einer sehr finanzstarken Kirche kommt? Das kann dann bei dem einen oder anderen auch so einen leicht faden Beigeschmack bekommen.

DOMRADIO.DE: Der Kämmerer wäre aber auch heute noch als Camerlengo für die Finanzen zuständig. Sie haben eben gesagt: Einiges war in der Geschichte so, einiges ist heute anders?

Nersinger: In der Geschichte hatte er natürlich eine ungeheure Macht in finanziellen Angelegenheiten. Das hat er aber, wie ich schon andeutete, seit dem Anfang des vergangenen Jahrhunderts nicht mehr. Nur in der Zeit, in denen wir keinen Papst haben. Da hat er auch die Sorge zu tragen, sich um die finanziellen Angelegenheiten der Kirche zu kümmern. Eine apostolische Konstitution hat einmal gesagt: Es ist die Aufgabe des Camerlengo der Heiligen Römischen Kirche, sich während der Sedisvakanz um die zeitlichen Güter und Rechte des Heiligen Stuhls zu kümmern.

DOMRADIO.DE: Was heißt das denn nun – falls es wahr wird und der Erzbischof von München dann Camerlengo würde, könnte er dann Erzbischof von München bleiben? Oder müsste er dann komplett nach Rom und wir bräuchten einen neuen Münchner Erzbischof?

Nersinger: Das ist eine sehr gute Frage. Natürlich beschränkt sich das Amt des Camerlengo ja auf eine relativ kurze Zeit. Aber ich denke, es ist dann doch sinnvoll, wenn man in Rom beheimatet ist, weil man dann schon im Voraus einen Überblick über die Sachen hat. Man weiß, wie man agieren muss. Die Entscheidung muss man dann letztendlich dem Heiligen Vater überlassen. Und wenn er glaubt, dass mit einem der Wirtschaftsämter des Heiligen Stuhls zu kombinieren, dann wird sich natürlich die Frage stellen, ob Kardinal Marx oder jemand anders dann nicht von seiner Diözese nach Rom wechseln muss oder sollte.

DOMRADIO.DE: Sie haben ja gute Kontakte nach Rom. Als wie realistisch schätzen Sie es denn ein, dass Kardinal Marx nun Camerlengo im Vatikan wird?

Nersinger: Es ist alles möglich momentan in Rom. Der Heilige Vater ist ja für Überraschungen gut – er ist für Entscheidungen gut, die man nicht erwartet hat. Wir haben in letzter Zeit gesehen: Er hat das Vatikanische Geheimarchiv umbenannt in Apostolisches Archiv. Das hätte auch niemand erwartet. Man muss da so ein bisschen auf die Inspiration und auf den nicht so ganz abschätzbaren Entschluss des Papstes achten.

Das Interview führte Dagmar Peters.


Ulrich Nersinger / © privat
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Quelle:
DR