Sozialverband kritisiert miserable Arbeitsbedingungen

"Wir brauchen politische Regelungen"

Arbeitnehmerrechte, Gewerkschaften, Arbeitsschutz sind mittlerweile kaum mehr wegzudenken. Braucht es denn dann noch einen Tag der Arbeit? Laut Kolping International ja: denn Ausbeutung finde auch in Deutschland weiterhin statt.

Tag der Arbeit / © Bodo Schackow (dpa)
Tag der Arbeit / © Bodo Schackow ( dpa )

DOMRADIO.DE Wenn Sie auf die moderne Arbeitswelt heute schauen, was ist Ihnen persönlich besonders ein Dorn im Auge?

Markus Demele (Generalsekretär des katholischen Sozialverbands Kolping International): Zu vieles leider. Da muss ich nur in die Schlachthöfe in Niedersachsen schauen, wo Arbeiterinnen und Arbeiter vor allem aus Osteuropa ausgebeutet werden. Ich kann aber auch nach Afrika, Asien oder Lateinamerika schauen. Die Zahl derer, die unter menschenunwürdigen Bedingungen arbeiten, ist leider gleichbleibend groß. Einige sagen sogar, sie sei wachsend.

DOMRADIO.DE Dabei gibt es doch viele internationale Übereinkünfte, die etwa Kinderarbeit, Sklaverei oder dergleichen untersagen. Dafür ist die Internationale Arbeitsorganisation ILO zuständig, die zu den Vereinten Nationen gehört. Die kennt nur kaum einer, warum?

Demele: Weil sie nicht in Erscheinung treten kann. Sie hat nicht das Mandat, Arbeitsrechte durchzusetzen. Sie ist die Organisation, mit der man unter dem Eindruck des Ersten Weltkriegs gesagt hat: "Wir brauchen Arbeitsrechte. Die sind der Garant für Frieden, damit alle Menschen an einer guten Entwicklung teilhaben können."

Aber warum sieht es immer noch so aus auf der Welt? Das liegt daran, dass Arbeitsschutz etwa bei Sonntagsreden, in manchen Gesetzestexten und unverbindlichen Erklärungen hochgehalten, aber in der Realität in vielen Ländern nicht durchgesetzt wird. Es gibt einfach eine zu große Nachfrage an Produkten, an denen Blut klebt. Zu viele Produkte werden auch in Deutschland gehandelt und gekauft, bei denen der Mensch im Produktionsprozessprozess keine Rolle spielt. Das heißt, dass die wirklichen Kosten der Herstellung dieses Produktes auf die Ärmsten der Armen abgewälzt worden sind.

DOMRADIO.DE Wir als Konsumenten sind also schuld, weil wir immer das Billigste vom Billigen kaufen wollen?

Demele: Uns trägt eine Mitschuld. Versuchen Sie mal als ethischer Konsument durch das Leben zu gehen. Da werden Sie wahnsinnig bei. Bei manchen Produkten geht das relativ einfach. Nehmen wir etwa Bananen. Wenn Sie die im Supermarkt kaufen, da haben Sie die normalen Bananen und dann haben sie die fair gehandelten Bananen mit Siegel.

Jetzt gehen Sie aber mal die ganzen anderen Produkte durch, die Sie tagtäglich konsumieren. Da können Sie nicht jedes Mal auf ein Siegel schauen. Sind diese Schuhe fair gehandelt? Steckt in diesem Hemd nun Kinderarbeit? Das weiß man einfach nicht. Das ist eine Überforderung des einzelnen Konsumenten. Wir brauchen deshalb politische Regelungen.

Der eigentliche Skandal ist, dass seit Jahrzehnten die Kirchen-Verbände darauf hinweisen, dass es diese miserablen Arbeitsbedingungen gibt. Aber noch immer gibt es eine Unwilligkeit der Politik, hier wirklich mit Regeln aktiv zu werden.

DOMRADIO.DE Die katholische Kirche hat tatsächlich bei der ILO immer mal wieder eine wichtige Rolle gespielt. Das internationale Kolpingwerk hat etwa Beraterstatus. Papst Johannes Paul II. hat 1982 selbst vor der ILO gesprochen. Gibt es eine sehr enge und traditionelle Verbindung zwischen Kirche und Arbeitnehmerrechten?

Demele: Es gibt in der katholischen Soziallehre mit Sicherheit ganz viele Anknüpfungspunkte. Darum hat auch Benedikt XVI. in seiner Enzyklika Caritas in veritate wortwörtlich die Programmatik der ILO zitiert. Dass eine UN-Organisation zitiert wird, findet sich bisher nicht so oft in einer Sozial-Enzyklika. Es geht darin um den Wert der Arbeit. Arbeit hat einen Vorrang vor dem Kapital. Das klingt nahezu sozialistisch oder marxistisch. Aber das ist gute katholische Soziallehre. Diese Idee verbindet die ILO und die katholische Kirche miteinander.

DOMRADIO.DE Was fordern Sie ganz konkret von der Politik?

Demele: Dass es endlich Gesetze gibt, die Unternehmen dazu verpflichten, bei der Produktion die Menschenrechte zu respektieren. Wenn sich herausstellt, dass sie es nicht getan haben, dann müssen sie saftige Strafen dafür zahlen und Manager haftbar gemacht werden können.

Das Interview führte Verena Tröster.


Papst Johannes Paul II. mit Lech Walesa (l.), Vorsitzender der Gewerkschaft Solidarnosc und seiner Familie / © N.N. (KNA)
Papst Johannes Paul II. mit Lech Walesa (l.), Vorsitzender der Gewerkschaft Solidarnosc und seiner Familie / © N.N. ( KNA )

Papst Benedikt XVI. unterzeichnet seine dritte Enzyklika "Caritas in veritate" (KNA)
Papst Benedikt XVI. unterzeichnet seine dritte Enzyklika "Caritas in veritate" / ( KNA )
Quelle:
DR