Der Vatikan sucht in Chile ungewöhnliche Kooperationen

Aufräumen nach dem Missbrauch

Zwei Sondergesandte des Papstes waren in Chile unterwegs, um die Aufarbeitung des Missbrauchsskandals voranzubringen. Dabei wird immer deutlicher, wie tief der Vertrauensbruch zwischen Rom und den örtlichen Bischöfen ist.

Der Gesandte des Papstes: Jordi Bertomeu / © Hans Scott (dpa)
Der Gesandte des Papstes: Jordi Bertomeu / © Hans Scott ( dpa )

Es ist Winter in Chile auf der Südhalbkugel, und so musste sich Erzbischof Charles Scicluna buchstäblich warm anziehen bei seinem Besuch in Osorno. Die vergangenen Tage hielt er sich als Sondergesandter des Papstes in dem Bistum auf, im dem der Missbrauchsskandal der chilenischen Kirche aufgebrochen war. Eine "pastorale Mission" sollte es sein, zu der Franziskus den ehemaligen vatikanischen Chefstrafverfolger für Missbrauchsdelikte und den Kirchenjuristen Jordi Bertomeu zum zweiten Mal binnen weniger Monate nach Chile schickte. Und es ging nicht darum, auf Schönwetter zu machen.

Wie groß der Vatikan den Reparaturbedarf in Chiles Kirche einschätzt, zeigte der Auftakt der Delegation in Santiago. Scicluna kündigte eine direkt dem Vatikan unterstellte Anlaufstelle für Opfer und Zeugen sexuellen Missbrauchs an. Ungewöhnlich - hatten doch Chiles Bischöfe schon 2011 das Verfahren für Anzeigen auf Diözesanebene geregelt und nochmals in ihren Missbrauchsleitlinien im Juli 2015 dargelegt.

"System der Vertuschung"

Aber es sieht so aus, als habe der Vatikan derzeit nicht viel Vertrauen in die vorhandenen Strukturen. In der Tat sprach Papst Franziskus in seinem Brief Ende Mai an die Katholiken des Landes von einer "Kultur des Missbrauchs" und einem «System der Vertuschung». Jetzt scheint Rom eher die staatliche Justiz denn die örtlichen Bischöfe als Partner in der Aufarbeitung zu sehen.

So traf die päpstliche Delegation mit den Spitzen der Staatsanwaltschaft in Chile zusammen. Generalstaatsanwalt Jorge Abbott erklärte, man sei sich über die Notwendigkeit einer Zusammenarbeit einig - und Chile wolle den Vatikan formell um Informationen über mutmaßliche Täter bitten.

Es blieb nicht bei Worten. Schon tags zuvor am Mittwoch durchsuchten Polizei und Staatsanwaltschaft die Büros der Kirchengerichte in Santiago und in Rancagua; dort bestehen Vorwürfe gegen ein mutmaßliches Netzwerk von Priestern, die auch sexuelle Vergehen an Minderjährigen verübt haben sollen. Weder Scicluna noch der päpstliche Botschafter in Chile, Ivo Scapolo, protestierten gegen die Razzien.

Scicluna umschrieb den Zweck seines Aufenthalts in Santiago mit "technischer und juristischer Hilfe" für die Bistumsleitungen beim Umgang mit dem Skandal. An der Katholischen Universität hielt er mit Bertomeu ein Seminar über Grundlagen der Ermittlung in Missbrauchsfällen. Eine Art Nachhilfeunterricht.

Amtsverzicht "aus Altersgründen"

Unterdessen nahm der Papst die ersten drei Rücktrittsangebote von Bischöfen an: Juan Barros aus Osorno, Cristian Caro von Puerto Montt, Gonzalo Duarte in Valparaiso. Duarte blieb der Amtseinführung des neuen Übergangsleiters am Samstag fern, und Caro lässt nach wie vor auf der Website des Erzbistums erklären, sein Amtsverzicht sei «aus Altersgründen» erfolgt. Dabei wird auch er beschuldigt, übergriffige Priester gedeckt zu haben.

In Puerto Montt führt bis auf weiteres der Ordensmann Ricardo Morales die Amtsgeschäfte - auf den ersten Blick merkwürdig, denn Puerto Montt ist ein Erzbistum, und Morales besitzt keine Bischofsweihe. Dafür hat er etwas, was für den Papst derzeit vielleicht wichtiger ist: Erfahrung als Aufklärer.

In seinem Mercedarier-Orden ging Morales gegen den ehemaligen Generaloberen Mariano Labarca vor, weil der sich an Seminaristen vergangen hatte. Im März 2017 wurde Labarca aus Orden und Priesterstand ausgeschlossen. Laut dem chilenischen Online-Magazin "Ciper" kam Morales bei Ermittlungen zu der Auffassung, Missbrauch finde gerade dort Nährboden, wo Kleriker es mit dem Keuschheitsgelübde nicht so genau nehmen. Örtlichen Medien zufolge ist das auch in Puerto Montt so.

Kirche muss Vertrauen zurückgewinnen

Dass Franziskus für die drei entpflichteten Bischöfe nicht gleich reguläre Nachfolger ernannte, mag noch einen praktischen Grund haben: Als Apostolische Administratoren handeln sie als Stellvertreter des Papstes. Rom will in Chile offenbar die Hand am Lenkrad behalten.

In Osorno muss die katholische Kirche erst einmal Vertrauen zurückgewinnen. Vier Tage lang sprachen die Sondergesandten mit Klerikern und Pfarrmitgliedern. Osorno ist ein kleines Bistum mit kaum zwei Dutzend Gemeinden. Viele Christen sind irritiert, dass Franziskus ihren jetzt entpflichteten Bischof Barros anfangs so barsch gegen Vorwürfe verteidigt hatte.

"Der Papst hat mich beauftragt, jeden einzelnen Gläubigen des Bistums Osorno und alle Bewohner dieses Gebiets dafür um Vergebung zu bitten, dass er sie zutiefst verletzt und beleidigt hat", sagte Scicluna am Sonntag in seiner Abschiedsmesse.

Kurz zuvor war durch die Zeitung "La Tercera" bekannt geworden, an einem nichtöffentlichen Treffen chilenischer Missbrauchsopfer mit dem Papst Anfang Juni im Vatikan habe auch Fernando Karadimas Bruder Oscar teilgenommen - der Bruder jenes 87-jährigen Priesters, der als Schlüssel- und Symbolfigur des ganzen Skandals gilt. Die Taten Fernandos haben die Geschwister gespalten. Gesprochen haben sie laut Oscar Karadima seit Jahren nicht mehr. Es sind auch solche Momente, die Scicluna frösteln lassen können.


Papst Franziskus trifft chilenische Bischöfe / © Paul Haring (KNA)
Papst Franziskus trifft chilenische Bischöfe / © Paul Haring ( KNA )
Quelle:
KNA
Mehr zum Thema