Kurienkardinal verteidigt Papstschreiben zu Ehe und Familie

"Pastorale Wende"

Fast wöchentlich tauchen Stellungnahmen zum Papstschreiben "Amoris laetitia" auf, von Häresievorwürfen gegen den Papst bis zu Solidaritätskampagnen. Bemerkenswert ist die Auslegung Kardinal Ouellets in der Vatikanzeitung "Osservatore".

Vorstellung von "Amoris laetitia" / © Cristian Gennari (KNA)
Vorstellung von "Amoris laetitia" / © Cristian Gennari ( KNA )

In einem ausführlichen Beitrag der Vatikanzeitung "Osservatore Romano" verteidigt der Leiter der Bischofskongregation, Kardinal Marc Ouellet, das päpstliche Lehrschreiben "Amoris laetitia" über Ehe und Familie. "Für uns Bischöfe stellt sich hier eine große Aufgabe (wörtlich: Baustelle) 'pastoraler Bekehrung', die Franziskus seit seinem programmatischen Schreiben 'Evangelii gaudium' vorantreibt", schreibt er. Eine Bekehrung "vom Papsttum bis in die Gemeinden", getragen vom "Geist der Mission, des Erbarmens und besonderer Aufmerksamkeit für die Armen".

Im Sinne von Ignatius von Loyola lesen

Um "Amoris laetitia" richtig zu verstehen, müsse man es als eine Anleitung für seelsorgliche Begleitung und Unterscheidung im Sinne ignatianischer Exerzitien lesen. Dürfe es verwundern, dass ein Papst aus dem Jesuitenorden seiner Kirche für Seelsorge etwas anbietet, das aus den geistlichen Übungen des Ignatius von Loyola (1491-1556) entwickelt ist?, fragt Ouellet. Der Zeitungsbeitrag dokumentiert leicht gekürzt einen Vortrag, den der kanadische Kurienkardinal Ende September in Montreal gehalten hat.

Die Tatsache aber, dass die Zeitung, die dem Staatssekretariat untersteht, diese ausführliche Exegese des teilweise umstrittenen Papstschreibens veröffentlicht, lässt aufhorchen. Der Präfekt der Bischofskongregation gilt als gemäßigt Konservativer; er trifft den Papst fast wöchentlich. Man kann Ouellets Beitrag als eine von Franziskus angeregte Antwort an seine Kritiker verstehen - auch wenn er selbst sich schon mehrfach zu seinem Schreiben geäußert hat.

Graben zwischen Lehre und Leben

Christen lebten heute im schwierigen Übergang zwischen einer eher christlichen Epoche und säkular geprägten, multiethnischen und multireligiösen Gesellschaften, schreibt Ouellet. Da "reicht es nicht, einfach nur die kirchliche Lehre und Disziplin zu bekräftigen; sonst riskiert man nur, den Graben zu vertiefen zwischen der Gemeinschaft der Gläubigen und den vielen Familien", die nicht den katholischen Normen eines Ehe- und Familienlebens entsprechen.

Ehe und Familie müssten von einem neuen, strikt pastoralen Standpunkt aus betrachtet werden, «aber in Kontinuität mit lehrmäßigen Errungenschaften der Vergangenheit». Dieser neue Blick zeige sich in "Amoris laetitia" als aufrechter Dialog zwischen den Hirten und ihrer Gemeinde. In solch einem Dialog würden sogenannte irreguläre Lebenssituationen - wie etwa wiederverheiratete Ehepaare und ihre Patchworkfamilien - auf konstruktive Weise angegangen und versucht, sie dem Ideal des Evangeliums anzunähern.

Begleiten, unterscheiden und integrieren

Papst Franziskus habe "den Mut und die Bravour, viel diskutierte Fragen neu anzugehen und einen Gesprächsprozess zu beginnen, markiert durch drei Wörter, die das Wesen seiner pastoralen Wende ausmachen: begleiten, unterscheiden, integrieren."

Die viel diskutierte Fußnote 351, die davon handelt, ob wiederverheiratete Geschiedenen unter Umständen zu den Sakramenten zugelassen werden können, dürfe weder mit oberflächlichem Enthusiasmus noch mit sturer Verweigerung gelesen werden, so der Kardinal. Worum es hier vor allem gehe, sei nicht ein Zugang zu den Sakramenten, sondern die Begleitung Betroffener und ihre Integration in die Kirche. Daher habe Franziskus auch nicht im Sinne früherer moraltheologischer Kasuistik konkrete Einzelfälle aufgelistet, in denen dies oder jenes erlaubt sei.

Perspektive auf Seelsorge richten

Vielmehr sollten Seelsorger in der Lage sein, Menschen in komplexen Lebenslagen wirksam zu begleiten und zu helfen: das tatsächliche Ausmaß eigener Schuld erkennen, Reue entwickeln und den Entschluss fassen, ihr Leben zu ändern, soweit dies möglich ist, ohne neue Schuld auf sich zu laden. Das wäre etwa der Fall, wenn Verpflichtungen gegenüber dem neuen Partner oder Kindern verletzt würden.

"Das grundsätzlich Neue" an "Amoris laetitia" sieht Ouellet in der Feststellung: Nicht alle, die in sogenannten irregulären Verhältnissen leben, befänden sich im Zustand schwerster Sünde ohne die Möglichkeit heilender Gnade. Das Ausmaß persönlicher Schuld hänge von vielen Faktoren ab - etwa von etwaiger Unwissenheit oder tatsächlichen Wahlmöglichkeiten. All das sei in Einzelgesprächen sorgsam zu klären.

Im Übrigen sei es schon immer so gewesen, dass in Einzelfällen nach Gesprächen mit einem Seelsorger, unter einer wie auch immer gearteten Aufsicht des Bischofs, wiederverheiratete Geschiedene zu den Sakramenten zugelassen wurden. - Die Diskussion dürfte damit weitergehen.


Kardinal Marc Ouellet / © Cristian Gennari (KNA)
Kardinal Marc Ouellet / © Cristian Gennari ( KNA )
Quelle:
KNA