Theologe zum Symposium zu 500 Jahren Kirchenspaltung

Auf der Suche nach Gemeinsamkeiten

Wie hielt es Luther mit den Sakramenten? Experten wollen sich ab Sonntag bei einer Tagung im Vatikan mit dieser Frage beschäftigen. Der Theologe Wolfgang Thönissen ist dabei und denkt, dass in den nächsten Jahren vieles möglich sein wird.

 (DR)

domradio.de: 500 Jahre Kirchenspaltung: Reicht das nicht aus? Sollten sich die Kirchen nicht langsam vereinigen?

Prof. Wolfgang Thönissen (Direktor des Johann-Adam-Möhler-Instituts für Ökumenik): Das wäre natürlich eine schöne Geste, wenn die Kirchen sich heute vereinigen würden. Aber wir müssen natürlich fragen: Was heißt vereinigen? Werfen wir die verschiedenen Ordinariate, also die Verwaltungen, zueinander? Lösen wir Landeskirchen oder einzelne Diözesen auf? Die Frage nach der Vereinigung ist schwierig zu beantworten. Es ist wichtig zu verstehen, dass Christen gemeinsam die Bibel lesen, Lieder singen, Gottesdienst feiern, dass sie vieles auch miteinander in der Gesellschaft tun, sich um Flüchtlinge kümmern oder auch für die Armen oder sonstige Gruppen von Menschen einsetzen. Das sind wichtige Punkte von Gemeinsamkeiten, auf die es ankommt, weniger auf die Vereinigung von technischen Einheiten oder Verwaltungseinheiten.

domradio.de: Hinsichtlich der theologischen Materie ist der große Knackpunkt das Verständnis der Sakramente, bei denen es große Unterschiede gibt, was auch in Rom diskutiert wird. Warum hat man davon ein unterschiedliches Verständnis?

Prof. Thönissen: Wenn wir von den Auseinandersetzungen des 16. Jahrhunderts ausgehen, hat sich ab dem Jahre 1520, wahrscheinlich eine große Kontroverse breit gemacht. Diese Differenzen haben dazu geführt, dass man sich am Ende nicht mehr verstanden hat. Herausgekommen sind zwei ganz unterschiedliche Wahrnehmungen.

domradio.de: Welche?

Prof. Thönissen: Auf evangelischer oder lutherischer Seite ist die Wahrnehmung: Wir wollen mit der Papstkirche nichts mehr zu tun haben. Auf der katholischen Seite hat man gesagt: Wenn Ihr mit der Papstkirche nichts mehr zu tun habt, dann habt Ihr Euch auch letztendlich von den Sakramenten und der Kirche gelöst. Und so kam das Vorurteil heraus, dass Luther die Sakramente aufgegeben hat. Auf beiden Seiten hat man daran festgehalten. Heute gibt es immer noch viele Evangelen, die sagen: Luther wollte mit den Sakramenten nichts mehr zu tun haben. Auf der katholischen Seite hat man umgekehrt gesagt: Da sieht man, dass Luther nicht die Einheit mit der Kirche haben wollte, denn er hat die Sakramente aufgegeben.

domradio.de: Und was ist jetzt richtig?

Prof. Thönissen: Schaut man genauer, stimmte das schon damals im 16. Jahrhundert nicht. Durch den ökumenischen Dialog haben wir herausgearbeitet, dass Luther sehr wohl die Sakramente festgehalten, sie jedoch anders verstanden hat. Und darüber haben wir in den letzten Jahren eine Verständigung erzielt, aus der wir sehen können, dass sogar die Ordination so etwas wie ein Sakrament ist. 

domradio.de: Ein großes Thema, das oft in den Medien besprochen wird - wenn es um die Unterschiede geht, ist auf der einen Seite das Zölibat und auf der anderen das Frauenpriestertum. Sind das auch Punkte, die schwer miteinander zu vereinbaren sind?  

Prof. Thönissen: Das sind heute natürlich die schwierigsten Punkte. Aber gerade mit dem Zölibat könnte man auf katholischer Seite auch darauf verweisen, dass es innerhalb der einen großen katholischen Kirche auf der Welt, in den sogenannten katholischen Ostkirchen, auch Priester gibt, die verheiratet sind. Der Zölibat ist eine spezifisch lateinische oder westliche Ausprägung, über die man unter Umständen diskutieren könnte. Das scheint durchaus möglich zu sein. Die andere Frage ist die der Ordination der Frauen, was heute ein Knackpunkt ist, an dem wir noch nicht weitergekommen sind. 

domradio.de: Das heißt, es sind auch so aktuelle Entwicklungen wie das Frauendiakonat historisch wieder zu betrachten. Das ist nicht wirklich zielführend, oder?

Prof. Thönissen: Ich denke schon. Wir können ja gemeinsam zwischen Ämtern und Diensten unterscheiden. Das tut auch die evangelische Theologie. Das bedeutet, wenn wir vom Pfarramt im eigentlichen Sinne absehen, gibt es eine Vielfalt von Diensten. In dieser Weise könnte auch das Diakonat der Frauen in der katholischen Weise verstanden werden. Dann haben wir eine Vielfalt von ämterähnlichen Diensten, die mit den Ämtern in Verbindung stehen, aber eine andere Ausprägung haben. Sie sind also nicht unmittelbar sakramental zu verstehen, aber gehören sehr eng damit zusammen. Das sind alles Wege, die wir gemeinsam im Dialog zu klären begonnen haben. Das ist auf diese Weise durchaus zielführend. 

domradio.de: Sprechen wir über den Papst: Es gibt die ökumenische Idee, den als eine Art "primus inter pares", also "Erster unter Gleichen", zu betrachten, sprich: Er ist nicht der Chef für die Protestanten, kann aber in gewissem Sinne für sie mitsprechen. Was halten Sie von der Idee? Ist das etwas Realistisches?

Prof. Thönissen: Wenn man das auf eine Formel bringen wollte, könnte man sagen: Nicht leben unter dem Papst, sondern mit dem Papst. In dieser Formel - mit dem Papst leben - könnte man auch eine Gemeinschaft verstehen; in der evangelische und katholische Christen gemeinsam mit ihm die Bibel lesen, auslegen und verstehen. Er ist das Zeichen dieser Gemeinschaft zwischen evangelischen und katholischen Christen. Diese Sichtweise wird in evangelischen Kreisen durchaus hoch gehalten, das sehen wir jedenfalls so.

domradio.de: Sehen Sie als Experte ein gemeinsames Abendmahl in der Zukunft?

Prof. Thönissen: Wir müssen sehen, dass das gemeinsame Abendmahl auch ein Zeichen der vollen sichtbaren Einheit. Wie die aussehen wird, wissen wir zum jetzigen Zeitpunkt nicht. Das heißt aber nicht, dass wir nicht Formen und Wege finden können, wo evangelische und katholische Christen wechselweise an den Abendmählern oder an den Eucharistiefeiern teilhaben können. Da gibt es durchaus Wege. Die katholische Kirche hat schon immer gesagt, dass niemand prinzipiell ausgeschlossen wird. Es gibt Wege des Mitfeierns und der Beteiligung an der Eucharistiefeier. Ich denke, dass in den nächsten Jahren durchaus vieles möglich sein wird, ohne dass wir das große Zeichen einer gemeinsamen Abendmahlsfeier schon mitten unter uns hätten.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.


Quelle:
DR